Max Eitingon

Der Steuermann
Christof Goddemeier
Max Eitingon
Psychoanalysts committee in 1922 (von links nach rechts): Otto Rank, Sigmund Freud, Karl Abraham, Max Eitingon, Sándor Ferenczi, Ernest Jones, Hanns Sachs © Becker & Maass, Berlin, US Library of Congress‘s Prints and Photographs, Public Domain
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Vor 75 Jahren starb der Arzt und Psychoanalytiker Max Eitingon. Er gilt als treuer Anhänger von Sigmund Freud und war zeitweise der Hauptfinanzier der psychoanalytischen Bewegung.

Von den wichtigen Vertretern der frühen Psychoanalyse ist Max Eitingon am wenigsten bekannt. Im Jubiläumsband, der das zehnjährige Bestehen des Berliner Psychoanalytischen Institutes feierte, schrieb Sigmund Freud 1930 über ihn: „Eitingon hat, obwohl er ein gründlicher Kenner der Psychoanalyse, ein erfahrener Therapeut und ein Denker von sicherem Urteil ist, es sich – und uns – versagt, die analytische Literatur durch seine Beiträge zu bereichern, aber er hat andere, kaum weniger wichtige Leistungen auf sich genommen.“ Freud vergleicht Eitingon mit dem Steuermann in einem Gedicht Ludwig Uhlands: „Er lenkt das Schiff mit festem Maß, bis sich der Sturm gebrochen.“ Gemeint sind Eitingons langjährige Leitung des Instituts und sein Engagement für die psychoanalytische Ausbildung. Ab 1920 war er zudem Freuds wichtigster Mann in allen finanziellen und organisatorischen Fragen des neu gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Verlages.

Arbeit in Zürich unter Eugen Bleuler und C. G. Jung

Max Eitingon wird 1881 in Mogilew/Russland geboren. Als er zwölf Jahre alt ist, zieht die sechsköpfige Familie nach Leipzig. Sein Vater Chaim Eitingon erwirbt im Pelzhandel ein Vermögen, bald nennt man ihn den „Rothschild von Leipzig“. Als frommer, zionistisch eingestellter Jude stiftet er eine Synagoge und beteiligt sich an der Finanzierung des Israelitischen Krankenhauses. Eitingon besucht zunächst die Realschule. Das anschließende Gymnasium verlässt er wegen Stotterns vor dem Abitur. Dennoch studiert er ab 1900 zunächst Geistes- und Naturwissenschaften. Zwei Jahre später immatrikuliert er sich in Heidelberg für Medizin. Er beschäftigt sich mit der Psychoanalyse und arbeitet zwei Jahre in der Zürcher Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli unter Eugen Bleuler und Carl Gustav Jung. 1907 trifft er Freud zum ersten Mal in Wien und nimmt an den Treffen der „Mittwoch-Gesellschaft“ teil. Sein Studium schließt er mit einer Dissertation „Über die Wirkung des Anfalls auf die Assoziationen der Epileptischen“ ab. Erneut in Wien, absolviert Eitingon bei Freud eine Psychoanalyse, Ernest Jones bezeichnet sie als erste Lehranalyse. Sie erfolgt buchstäblich ambulant – Eitingon geht etwa zwölfmal nach dem Abendessen mit Freud spazieren und lässt sich dabei analysieren. Die enge Zusammenarbeit und die Ergebenheit Eitingons gegenüber Freud bezeugt ein Brief Freuds vom 24. Januar 1922: „(. . .) Mir sind Ihre Opfer darum nur um so wertvoller geworden, wenn sie Ihnen zu viele geworden sind, müssen Sie es selbst sagen. (. . .) Waren Sie der erste, der zu dem Vereinsamten gekommen ist, so mögen Sie es bis zum letzten bei ihm aushalten. Es wird dann wohl immer so bleiben müssen wie bisher, daß ich etwas brauche und Sie sich mühen, es zu beschaffen. Es ist Ihr selbstgewähltes Schicksal (. . .)“ 1910 reist Eitingon zum ersten Mal nach Palästina und fragt sich, ob er dort bleiben könnte. Doch er kehrt zurück und heiratet die vier Jahre ältere Mirra Raigorodsky. Die Ehe bleibt kinderlos. Eitingon beginnt, analytische Behandlungen durchzuführen. Dabei ist er durch das elterliche Vermögen abgesichert und muss seinen Lebensunterhalt nicht verdienen. Er veröffentlicht Artikel zu Friedrich Nietzsche und Leo Schestow und hält Vorträge. Den russischen Philosophen hat er während des Studiums kennen- und schätzen gelernt und übersetzt ihn aus dem Russischen ins Deutsche. Eitingons Aufsatz „Genie, Talent und Psychoanalyse“ erscheint im „Zentralblatt für Psychoanalyse“ – eine Antwort auf Theodor Lessings Vorwurf, die Psychoanalyse demontiere das Genie zugunsten des Talents. Zudem begleitet Eitingon den offen ausgetragenen Streit zwischen der Psychoanalyse und der Psychiatrie alter Schule, repräsentiert etwa durch Alfred Hoche. In seinem Bericht über die Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie in Breslau 1913 plädiert Eitingon dafür, die Psychoanalyse weiterzuentwickeln und der Geschichte die Entscheidung über ihren Wert zu überlassen.

Kostenlose Psychotherapie für alle in Berlin

1914 kommt es zum endgültigen Bruch zwischen Freud und Jung, und der Erste Weltkrieg beginnt. Eitingon ist als Sanitätsoffizier in Ungarn stationiert und kommt mit den Gräueln des Krieges nicht stärker in Berührung. Auf dem Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Budapest 1918 vertritt Freud die Idee einer analytischen „Psychotherapie fürs Volk“. Anton von Freund, ein wohlhabender Brauereibesitzer und Mäzen, will in Budapest eine Poliklinik mit Lehrinstitut und einen psychoanalytischen Verlag begründen. Doch von Freund stirbt und mit ihm das Budapester Projekt. Am 21. Juli 1919 berichtet Eitingon Freud von der bevorstehenden Eröffnung einer Poliklinik in Berlin, geleitet von ihm und Ernst Simmel. Sie soll kostenlose oder -günstige psychotherapeutische Hilfe für die Bevölkerung vorhalten und kommende Analytiker unterrichten. Als die Klinik 1920 ihre Tätigkeit aufnimmt, stößt noch Anna Smeliansky als Ärztin dazu.

Eitingon etabliert die „Kontrollanalyse“

Ein Spottwort unter Psychoanalytikern lautete: „Die besten Fälle für die Analyse sind die Felle des alten Eitingon.“ Denn das meiste Geld, das für Miete, Sach- und Personalkosten ausgegeben wird, stammt aus dem Vermögen der Familie Eitingon. Bis zu 120 Analysen werden hier gleichzeitig durchgeführt, im Lauf der Jahre etwa die Hälfte von Analytikern in Ausbildung. Neben Lehranalyse und theoretischen Kursen etabliert Eitingon die „Kontrollanalyse“ als Form der supervidierten Behandlung: „Praktikanten“ berichten ihm regelmäßig über ihre Therapien und werden von ihm beraten. Den Grundstein hatte Freud 1919 gelegt: „Praktische Erfahrungen gewinnt er, außer durch Selbstanalyse, in der Behandlung von Krankheitsfällen, die er unter der Leitung und Überwachung eines anerkannten Analytikers durchführt.“ Eitingon präzisiert: „An Hand genauer Protokolle, die die Lernenden führen müssen, folgen wir den Analysen genau und sind leicht in der Lage, die gemachten Fehler zu merken und allmählich abzustellen (. . .) Die (. . .) Kranken schützen wir dadurch, dass wir, die die Behandlung kontrollieren, jederzeit bereit sind, den Kranken, falls notwendig, (. . .) selbst zu übernehmen.“ Dabei favorisiert Eitingon, „die Kontrollanalyse nicht durch den ehemaligen Lehranalytiker des Kandidaten ausführen zu lassen, sondern durch einen anderen Analytiker“. Freud hatte bereits die Kontrollanalyse als Teil der Ausbildung von der Kontrollanalyse als „Teil der andauernden Bildung des Analytikers“ (Claus-Dieter Rath) unterschieden: „Jeder Analytiker sollte periodisch, etwa nach Verlauf von fünf Jahren, sich wieder zum Objekt der Analyse machen, ohne sich dieses Schrittes zu schämen. Das hieße also, auch die Eigenanalyse würde aus einer endlichen eine unendliche Aufgabe (. . .)“ Der Internationale Psychoanalytische Verlag liegt Freud sehr am Herzen, denn er sichert die Unabhängigkeit der Psychoanalyse als Wissenschaft. Auch hier ist Eitingon als Mäzen gefragt. 1924 tritt er als Gesellschafter in den Verlag ein und teilt sich fortan die Verantwortung mit Freud. Doch ab 1929 verschlechtert sich Eitingons finanzielle Situation. Im Rahmen der Weltwirtschaftskrise verzeichnet das Familienunternehmen deutliche Verluste. Eitingons Verhältnis zu Freud ist in den ersten zehn Jahren kein freundschaftliches. „Durch viele Jahre merkte ich Ihr Bestreben, mir näher zu kommen, und hielt Sie ferne“, schreibt Freud. Doch ab etwa 1918 wird der Ton in den Briefen persönlicher und warmherziger. Eitingon redet Freud mit „Herr Professor“ an, dieser antwortet mit „Max“ und „Sie“. Zum 50. Geburtstag Eitingons schreibt Freud: „Die Zahl kann mir natürlich nicht imponieren, aber die Gelegenheit will ich nicht ungenützt lassen, um Ihnen ein paar herzliche Worte zu sagen. (. . .) ich vergesse nie daran, was Sie (. . .) in Ihrer stillen und dabei unwiderstehlichen Art geleistet haben. Niemand außer mir weiß es, und niemand vielleicht dankt Ihnen dafür. Es gab doch keine noch so schwierige und undankbare Aufgabe, die Sie (. . .) nicht auf sich genommen und – glücklich erledigt hätten.“

Auswanderung 1934 nach Palästina

Früh sympathisiert Eitingon mit dem Zionismus. Freud hätte es lieber gesehen, „ein jüdisches Vaterland auf einem historisch unbelasteten Boden zu gründen“. Seinen Plan zu emigrieren, behält Eitingon lange für sich. Albert Einstein schreibt ihm einen Brief, in dem er ihm unumwunden davon abrät, nach Palästina zu gehen, „wo sich die Intellektuellen gegenseitig im Wege stehen“. Nach der Machtergreifung Hitlers fliehen viele Analytiker ins Ausland, 1934 verlässt auch Eitingon mit seiner Frau Berlin. Er gründet die Palästinensische Psychoanalytische Vereinigung, doch Einsteins Skepsis bezüglich der Rezeption der Psychoanalyse an der Hebräischen Universität bestätigt sich. Die Korrespondenz mit Freud wird weniger, aber Eitingon besucht Freud ein- oder zweimal im Jahr. Im August 1938 sehen die beiden sich zum letzten Mal in London, Freud stirbt ein Jahr später. Schon vorher leidet Eitingon an Angina pectoris, das Rauchen möchte er nicht lassen. Am 30. Juli 1943 stirbt Max Eitingon in Jerusalem. Er ist auf dem Ölberg begraben.

Literatur (Auswahl)

1.    Neiser, E: Max Eitingon – Leben und Werk, Dissertation. Heidelberg: Ditters Bürodienst 1978.
2.    Sigmund Freud/ Max Eitingon Briefwechsel. 2 Bände, herausgegeben und eingeleitet von Michael Schröter. Tübingen: edition diskord 2004.
3.    Themenschwerpunkt Funde im Eitingon-Nachlass, Jerusalem. In: Luzifer-Amor, Hg. Michael Schröter, Heft 42. Tübingen: edition diskord 2008.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteblattes: https://www.aerzteblatt.de/archiv/200271/Max-Eitingon-Der-Steuermann

Entnommen aus MTA Dialog 11/2018

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