Krankenhausinfektionen gestern (2)

Besonderheiten des „Staphylokokkenhospitalismus“
Hardy-Thorsten Panknin
Krankenhausinfektionen gestern (2)
Staphylococcus aureus © CDC/ Matthew J. Arduino, Janice Haney Carr, Gemeinfrei
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Es kam in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland häufig auch unbemerkt zu endemischen und sogar zur pandemischen Verbreitung von Staphylokokkeninfektionen.

Krankenhausepidemien

Die Staphylokokken des Phagentypus 80,81 haben alles, was ein Staphylokokkus braucht, um im Krankenhaus Unheil anzurichten. Im Allgemeinen sind sie resistent gegen Antibiotika, in Australien gegen Penicillin, in England, Europa und den Vereinigten Staaten meist gegen Penicillin, Tetrazyclin und Streptomycin. Sie scheinen eine besondere Fähigkeit dazu zu haben, die Haut zu besiedeln und Hautschäden hervorzurufen. Die Bedeutung liegt hier natürlich darin, dass sich Staphylokokken von infizierter Haut besonders leicht in der Umgebung ausbreiten können; deswegen würden also Hautinfektionen den Staphylokokken einen besonders großen Vorteil bei der Verbreitung verschaffen.

Zum ersten Mal wurde dieser S. aureus-Typ im Mai 1952 bei fünf Neugeborenen einer Entbindungsanstalt in Sydney, Australien, gefunden, die an ungewöhnlich schwerwiegenden S. aureus-Infektionen litten. Im November 1953 wurde dieser Epidemiestamm differenziert durch einen Phagen, der durch „Adaptation“ des Phagen 52A gewonnen worden war. Typ 80,81 ist auch offensichtlich in der Lage, bei kolonisierten Patienten Krankheiten hervorzurufen, und macht dies vermutlich im Verhältnis zur Anzahl befallener Personen viel häufiger als die meisten anderen Staphylokokkenstämme. Der Chirurg und Bakteriologe Williams aus London machte drei Faktoren dafür maßgeblich verantwortlich: Resistenz gegen Antibiotika, Fähigkeit zur Hautbesiedlung und Fähigkeit, bei kolonisierten Patienten, Krankheiten hervorzurufen. „Wir wissen nicht, warum 80,81, der im Laboratorium nicht viel aktiver als die anderen aussieht, in der Lage war, in Krankenhäusern so viel mehr Schäden anzurichten als die meisten anderen Staphylokokken.“

Der im Jahr 1954 zuerst erkannte Typ 80,81 nahm bis zum Jahr 1958 ständig an Prävalenz zu, aber kurz davor erschien ein neuer Typ „52,52A,80,81“ auf der Bildfläche und nahm ebenfalls während der nächsten Jahre ständig an Häufigkeit zu. Das Besondere des Komplexes „52,52A,80,81“ war, dass er über eine gesteigerte Fähigkeit verfügt, purulente Infektionen auszulösen. Dann traten um das Jahr 1958 in England Epidemien von Infektionen auf, die auf Typ 83 A beruhten. Auch diese nahmen während der nächsten Jahre an Häufigkeit zu [30]. Es wurden weitere neue Typen beschrieben. Wichtigstes Charakteristikum war ihre geringe Ausbreitungsfähigkeit bei oft hoher klinischer Virulenz. Solche Stämme werden mit Patienten laufend in Krankenhäuser eingeschleppt. Einige von ihnen können sich dort unter günstigen Umständen zu Epidemiestämmen entwickeln [40]. Mithilfe der Lysotypie gelang es oft, nähere Angaben hinsichtlich der Epidemiologie zu machen. Gelegentlich konnte dadurch sogar eine bestimmte infektionsunterhaltende Quelle entdeckt und nachfolgend durch gezielte Hygienemaßnahmen ausgeschaltet werden.

Krusche hat über Lysotypieergebnisse von Staphylococcus aureus bei Isolaten aus dem stationären und ambulanten Klinikbereich aus den Jahren 1949 bis 1981 weltweit und im Vergleich zu Bonner Ergebnissen folgende Erkenntnis zu den S. aureus-Stämmen des „52,52A,80,81“-Komplexes ausgewertet: Etwa ab 1955 wurde in vielen Ländern der Welt eine Zunahme der Hospitalinfektionen durch S. aureus-Stämme des „52,52A,80,81“-Komplexes beobachtet. Seit 1965 wurden Hospitalinfektionen durch diesen Typ weltweit nur noch sporadisch gefunden. Während seines pandemischen Auftretens verursachte er besonders häufig Infektionen auf Entbindungs- und Neugeborenen- und auf chirurgischen Stationen. Häufig rief er, bei meist schweren Krankheitsverläufen, Erkrankungen der Haut, postoperative Wundinfektionen, aber auch septische Krankheitsbilder und Pneumonien hervor [31].

Ähnliche Ergebnisse hatte Lyschik in der Akademischen Kinderklinik in Düsseldorf beobachtet [38]. S. aureus-Stämme dieses Typs scheinen häufiger Infektionen bei stationären Patienten hervorgerufen zu haben als bei Ambulanzpatienten und bei Personen der „Normalbevölkerung“. Viele Untersuchungsberichte wiesen auf die ungewöhnlich hohe Virulenz dieses Typs hin. Zunächst zeigten S. aureus-Stämme des „52,52A,80,81“-Komplexes meist nur eine Chemotherapeutikaresistenz gegen Penicillin G. Während ihrer pandemischen Ausbreitung wurden sie in vielen Ländern resistent gegen mehrere Chemotherapeutika. Gegenüber Methicillin und Gentamicin wurden kaum Resistenzen entwickelt [30]. Wahrscheinlich war aber eine ganze Reihe verschiedener Faktoren daran beteiligt. Antibiotikaabusus führte zur Resistenzsteigerung der Staphylokokken und damit zu Schwierigkeiten bei der Behandlung, mangelnde Aseptik förderte oftmals entscheidend die Ausbreitungsmöglichkeiten bestimmter Staphylokokkenstämme. Aber auch die durchschnittliche Resistenzlage der Patienten im Krankenhaus war offenbar niedriger als die der Patienten der 20er- und 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts; höheres Alter der Patienten, größere und länger dauernde Eingriffe und so weiter.

Nach Anderson und Williams [32] gab es drei Typen von Epidemieausbrüchen:

1. Solche, die durch einen oder zwei Patienten oder durch ein oder zwei Mitglieder des Krankenhauspersonals ausgelöst werden, die einen bestimmten S. aureus-Stamm tragen. Nachdem diese, nach einer Behandlung, nicht mehr als Infektionsquelle infrage kommen und die neu infizierten Personen ebenfalls behandelt werden, sei die Epidemie beendet.

2. Epidemien, bei denen viele Träger innerhalb des Krankenhauspersonals gefunden werden können und wo eine Einschränkung des Infektionsgeschehens nur durch eine Verstärkung und verbesserte Organisation der Hygienemaßnahmen erreicht werden könne.

3. Infektionsgeschehen, bei denen S. aureus-Isolate unterschiedlicher Lysisbilder zum Beispiel in Operationswunden und beim Personal gefunden werden können.

β-Lactam-Antibiotika undKrankenhausinfektionen

In den 60er-Jahren konnte dann das Staphylokokkenproblem beziehungsweise der „Staphylokokken-Hospitalismus“ durch intensive hygienische, organisatorische Maßnahmen und neuere Penicilline, vor allem die β-Lactam-Antibiotika (Methicillin, Oxacillin), Nafcillin, Lincomycin1, und der Chephalosporine unter Kontrolle gebracht werden.

Um dem Staphylokokkenhospitalismus präventiv entgegenzuwirken, wurden zahlreiche Maßnahmen in die Praxis implementiert. Die wichtigsten Empfehlungen sind hier aufgeführt. Durch aseptische Maßnahmen:

• strenge Einhaltung des Grundsatzes der „Noninfektion“,

•    Organisation der Pflege und Schulung des Personals unter dem Gesichtspunkt Vermeidung von Keimübertragungen (keine Fingerringe, keine Armbanduhren, keine Wollkleidung),

•    weitgehende Separierung der Infizierten,

•    Auflockerung der Belegdichte von Krankenzimmern und Sälen,

•    Einhaltung eines ausreichenden Bettenabstandes,

•    Zügelung des Besucherstromes und Aufforderung der Besucher zur Disziplin,

•    Schaffung staubarmer Bedingungen (Fußboden, Einrichtung, Deckenheizung und so weiter),

•    reichliche Lüftung,

•    einwandfreie Beseitigung von Abfällen, gebrauchten Verbandsstoffen und so weiter,

•    häufiger Wechsel der Schutzkleidung.

Durch antiseptische Maßnahmen:

•    tägliche zuverlässige Desinfektion der Böden in Operations- und Verbandsräumen, von bestimmten Gegenständen wie Abfallbehältern, Wäschebehältern, Ablegeschalen und so weiter,

•    ausreichende Desinfektion der Hände, auch beim Pflegepersonal,

•    Desinfektion der Raumluft bei Bedarf,

•    prä- und postoperativ soll der Nasen-Rachen-Raum aller Patienten der Bauch- und Thoraxchirurgie, die zur Operation anstehen, bakteriologisch auf pathogene Keime untersucht und überwacht werden. Finden sich pyogene Staphylokokken, so liegt eine latente Gefährdung des Patienten vor. Stellt man die ersten klinischen Zeichen dieser Infektion fest, so können aufgrund der Kenntnis der Resistenzlage des Bakterienstammes frühzeitig und damit erfolgreich die nötigen therapeutischen Maßnahmen ergriffen werden. Gerade bei den enterotoxischen Eigenschaften der Stämme ist diese Möglichkeit zum frühzeitigen gezielten Eingreifen oft von lebensrettender Bedeutung. Seit dieser Einführung in der chirurgischen Universitätsklinik der Technischen Universität zu München kam es bei keinem Kranken durch eine Staphylokokken-Enterocolitis zum Tod.

•    Das Personal wird regelmäßig zweimal im Monat durch Nasen-Rachen-Abstriche auf Keimträger untersucht.

•    Dauernde Keimausscheider versuchte man zu sanieren; bei Erfolglosigkeit ist die Keimstreuung auf andere Weise (Mundschutz, Separierung) auszuschalten.

•    Strenge und planvolle Anwendung der Antibiotika [15].

1960 gelang es, den Grundbaustein aller Penicilline, die 6-Aminopenicillansäure (6-APS), zu isolieren. Dadurch wurden chemische Veränderungen in der Seitenkette des Penicillinmoleküls möglich, die zu neuen, sogenannten semisynthetischen Penicillinderivaten führten. Auf diese Weise wurde die enzymbedingte Penicillinresistenz der Staphylokokken überwunden. 1962 wurden aber wieder in verschiedenen Ländern Staphylokokken aus Untersuchungsmaterial isoliert, die nun gegen die semisynthetischen, penicillinasefesten Penicilline (ß-Lactamase) ein Resistenzverhalten (Methicillin und Oxacillin[→mecA-Gen]) zeigten.

Staphylococcus aureus hat in den letzten Jahrzehnten konstant die Fähigkeit gezeigt, Antibiotikaresistenz zu entwickeln. Stämme mit Mehrfachresistenz haben zunehmend weltweit Patienten besiedelt und infiziert. Auf die anfängliche Wirksamkeit neu eingeführter Antibiotika folgte stets die Entwicklung von Resistenz. Die Resistenz gegenüber Antibiotika wird zurückgeführt auf den Selektionsdruck, transduzierende Phagen und/oder Plasmide; DNA-Transfers durch Bakteriophagen. Chromosomale Gene tragen ebenfalls zur Resistenz gegenüber vielen Antibiotika bei; ebenfalls die extrachromosomale Resistenz (übertragbare, infektiöse Resistenz). Die Resistenz steht dabei im biologischen Wechselspiel zwischen Antibiotikum und Erreger [33, 44, 47].

Gramnegative Erreger als neue Hospitalerreger

Schwere und schwerste Infektionen mit gramnegativen Stäbchenbakterien traten nun auf, die zum Teil früher nicht als pathogen, sondern als normale Besiedler (fakultativ pathogene Erreger2) des menschlichen Darmes beziehungsweise als in der Umwelt vorkommend bekannt waren (E. coli, Enterokokken, Proteus, Pseudomonas aeruginosa, Klebsiellen, Enterobacter, Serratia, Bacteroides), die ebenfalls alle Charakteristika des infektiösen Hospitalismus aufwiesen, die bereits schon in den USA beschrieben wurden.

Tabelle 2 gibt dazu einen imposanten Überblick [43, 44]. Spitzy beschreibt den Hospitalismus durch gramnegative Erreger als Selektion der ubiquitären Patientenflora nach ihren resistenten Stämmen und Mutanten. Infolge der hohen Empfänglichkeit von schwerkranken Patienten (Polytraumen, Immunsuppression, komplizierte Operationen, Tracheotomie, Katheter sind ätiologische Komplikationsmöglichkeiten) werden die sonst harmlosen Keime der körpereigenen Mikroflora zu pathogenen Erregern, die als selektierte Opportunisten während des Krankenhausaufenthaltes zunehmen und sozusagen auf ihre „Chance“ warten, als Sepsiserreger auftreten zu können [42].

Herausragendes Ergebnis einer Untersuchung zur Veränderung der Körperflora bei Krankenhauspatienten zeigte in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts bei chirurgischen Patienten die sehr hohe Nachweishäufigkeit gramnegativer Stäbchen. Bereits vor der Operation wurden bei einem Viertel aller Untersuchungen gramnegative Stäbchen, das heißt Coli, Klebsiellen, Proteus oder Pseudom. aeruginosa, gefunden, der letzte Keim allerdings nur bei 0,9 Prozent. Diese Nachweisfrequenz stieg bis zum zwölften Tag nach der Operation bis auf über 50 Prozent an. Bedeutend dabei ist die Tatsache, dass am zweiten und siebten Tag nach der Operation mehr als acht Prozent der Proben Pseudomonas aeruginosa enthielten. Fasst man die Ergebnisse zusammen, so muss festgestellt werden, dass die äußere Körperflora der Patienten, wobei sowohl Hautoberfläche wie auch Nasen-Rachen-Abstriche gemeint sind, in der Klinik offenbar charakteristischen Veränderungen unterliegt. Dabei spielt anscheinend das spezielle Milieu beziehungsweise eine mögliche Antibiotikatherapie eine sehr wesentliche Rolle. Die Bedeutung derartiger Veränderungen für das Zustandekommen von Krankenhausinfektionen sollte nicht unterschätzt werden [45]. Bei Patienten einer internistischen Intensivpflegestation mit und ohne Antibiotikatherapie wurden Stuhlproben auf aerobe Darmbakterien qualitativ und quantitativ mikrobiologisch untersucht. Die Stuhlflora von Patienten, die keine Antibiotikatherapie erhielten, entsprach im Wesentlichen einer Normalflora. Bei den mit Antibiotika behandelten Patienten traten Verschiebungen der Intestinalflora auf, die im Zusammenhang mit den verwendeten Antibiotika standen. Bei einer Cephalosporin-Monotherapie (Cefotaxim, Cefazolin) war E. coli weiterhin nachweisbar. Unter einer antibiotischen Zweifach- und Dreifach-Kombinationstherapie ging die Nachweishäufigkeit von E. coli deutlich zurück, während Pseudomonas aeruginosa wesentlich häufiger mit zunehmender Resistenz nachgewiesen wurde [46].

Die nosokomiale Sepsis ist heute die schwerste Form einer Infektion mit fakultativ pathogenen Keimen geworden, deren Erregerreservoir die normale Bakterienflora des Patienten beziehungsweise seiner nächsten Umgebung darstellt [44].

Fazit

Trotz aller Anstrengungen und Fortschritte in der Krankenhaushygiene ist der bakterielle Hospitalismus nach wie vor ein Problem ersten Ranges geblieben. Mit den Chemotherapeutika beziehungsweise Antibiotika wurden dem Arzt hochpotente Mittel in die Hand gegeben, die bei vielen schweren Infektionen lebensrettend sind. Als Nebenerscheinung werden jedoch durch eine Chemotherapie zwangsläufig aufgrund verschiedener Mechanismen resistente Mikroorganismen, besonders bei ungezielter Anwendung, herangezüchtet, die dann im Rahmen des bakteriellen Hospitalismus Bedeutung erlangen können.

Die Anwendung von Sulfonamiden und Antibiotika brachte trotz des zunehmenden Hospitalismus in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts – zum Beispiel in der Neonatologie und Pädiatrie – einen deutlichen therapeutischen Effekt, der aus der Länge der Krankheitsdauer, der Sterblichkeit aller Säuglinge und Frühgeborenen zu beobachten war. Die durchschnittliche Krankheitsdauer betrug in der Vorsulfonamidzeit 23,5 und wurde durch die antibiotische Therapie auf 17,6 Tage verkürzt. Die Sterblichkeit, zum Beispiel der Staphylokokkenerkrankungen, konnte von 25 Prozent in der Vorsulfonamidzeit auf 6 Prozent in der antibiotischen Ära signifikant reduziert werden [37]. Erst die heutige „Hightech-Medizin“ mit ihren modernen Behandlungsmethoden ermöglichte –, dank unter anderem auch der Chemotherapeutika – Schwerkranke über längere Zeit am Leben zu erhalten und zu heilen. Die Intensivmedizin setzt direkt bei den versagenden Organen mit ihren supportiven Maßnahmen an, um deren Funktion zu bessern. Moderne Operationstechniken erlauben beispielsweise komplizierte Herzoperationen oder Organtransplantationen – besonders bei multimorbiden und geriatrischen Patienten –, Zytostatika werden in der Behandlung maligner Erkrankungen eingesetzt. Gerade die Behandlung dieser Kranken mit schlechter Immunität und auch deren Therapie birgt die Gefahr von iatrogenen und nosokomialen Infektionen in sich, die wiederum dann von den Antibiotika profitieren.

Einen wichtigen Faktor bei der Entstehung von im Hospital erworbenen Infektionen stellt auch der Patient und seine Infektionsbereitschaft dar. Ein kritisch Kranker kann selbst an seinen eigenen Darmbakterien erkranken, mit denen er sonst symbiotisch lebt, und sein Umfeld infizieren; Autoinfektion, die auf einer nicht mit der Hospitalisierung zusammenhängenden Disposition beruht. Durch episomale Resistenzübertragung3, zum Beispiel im menschlichen Darm, können resistente Stämme von gramnegativen Stäbchen auch ohne Kontakt mit einem Antibiotikum auftreten und sich in der Klinik ausbreiten [39, 42, 47]. Diese Tatsache allein erklärt, warum in bestimmten Bereichen des Krankenhauses stets auch aktuell mit Infektionsausbrüchen gerechnet werden muss. Die Prophylaxe von Hospitalinfektionen ist ein schwieriges Problem, da meist die Patienten selbst das Erregerreservoir darstellen. Wie in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts und wie auch gegenwärtig zu beobachten ist, stellen nosokomiale Ausbrüche durch unterschiedlichste Erreger weiterhin eine immense Gefahr dar. Kliniken werden durch Ausbrüche stark belastet. Ausbrüche reduzieren die Produktivität einer Klinik, sie gefährden den Behandlungserfolg der Patienten, sie stellen dazu ein Risiko für die Mitarbeiter dar.

Antibiotika beeinflussen Krankenhausinfektionen wenig oder gar nicht. Infektionen entstehen mit oder ohne Antibiotika, sie beeinflussen die Art der Infektionserreger und die von ihnen ausgehenden Folgeschäden. Die Bekämpfung von Infektionen mit multiresistenten Erregern (MRE), die schwer behandelbar sind und bei denen gegenüber nichtresistenten Erregern zum Teil eine erheblich höhere Sterblichkeit besteht, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nur durch Zusammenarbeit aller Mitarbeiter an der Gesundheitsversorgung zu erreichen. Der Wiener Infektiologe, Prof. Dr. Spitzy, forderte bereits im Jahr 1977: „Gerade wegen der Keimselektion und der drohenden infektiösen Resistenz ist allergrößter Wert auf die Krankenhaushygiene zu legen. Ebenso wenig können aber rigorose Beschränkung oder Wechsel der Antibiotika, Schaukeltherapie, restlose Ablehnung jeder Chemoprophylaxe – und damit sicher auch jeder frühzeitigen Chemotherapie – erfolgreich sein. Kluges Abwägen der Therapie im Einzelfall, ständige Kontrollen der Keimsituation und strengste Krankenhaushygiene sind allein imstande, den ,modernen‘ Hospitalismus ,unmodern‘ werden zu lassen“ [42].

Der ehemalige Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Staphylokokken am Robert Koch-Institut, Prof. Dr. Witte, resümierte: „Auftreten und Verbreitung multiresistenter Erreger von Krankenhausinfektionen werden durch Bereiche eines hohen chemotherapeutischen Selektionsdruckes und Mängel in der Krankenhaushygiene begünstigt. Aus dieser Sicht sind Regime des Chemotherapeutikaeinsatzes und der Krankenhaushygiene zwei Seiten der gleichen Medaille“ [37].

Anmerkungen

1 Lincomycin ist ein Antibiotikum, das in Deutschland lediglich zum Einsatz in der Veterinärmedizin zugelassen ist.
2 Fakultativ pathogene Bakterienspezies, die bei Menschen mit guter Abwehrlage ihre krankmachenden Fähigkeiten nicht entwickeln können und als Infektionserreger eine untergeordnete Rolle – sogenannte Opportunisten – spielen. Erst unter dem Einfluss der modernen und zum Teil aggressiven Verfahren der Medizin (unter anderem Immunsuppression, medikotechnische Interventionen et cetera) können diese ihre Pathogenität entfalten.
3 Die übertragbare Resistenz tritt meist unbemerkt ein und kommt bei gramnegativen Stäbchenbakterien vor. Das extrachromosomal gelagerte Genmaterial wird durch Konjugation von einer Bakterienart auf die andere unter Einschaltung eines »Resistenz-Transfer-Faktors« übertragen. Eine extrachromosomale Resistenzübertragung wurde auch bei Staphylokokken beobachtet. Die Übertragung einer Mehrfachresistenz kann im menschlichen Darm, auf Schleimhäuten oder auf der Haut stattfinden.

Literatur

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Entnommen aus MTA Dialog 10/2018

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