KI - Bedrohung oder Unterstützung für Radiologen?

Künstliche Intelligenz
Mirjam Bauer, Michael Reiter
International
Keith J. Dreyer, PhD, stellvertretender Leiter der Abteilung für Computer- und Informatikwissenschaft in der Radiologie am Massachusetts General Hospital, Boston © Michael Reiter
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Artificial Intelligence“, „Machine Learning“, „Deep Learning“ – dieser Begriffs-Cocktail wurde den Teilnehmern des Kongresses der Nordamerikanischen Radiologengesellschaft (Radiological Society of North America, RSNA) in Chicago serviert.

Für einige der Wörter gibt es auch Entsprechungen auf Deutsch – allerdings ist hierzulande die „künstliche Intelligenz“ nicht en vogue, weil das Forschungsgebiet nach großem Hype bislang kaum spürbare Auswirkungen auf das Alltagsleben gezeigt hat. Wer künftig weiter in der Radiologie arbeiten möchte, sollte sich mit diesen Entwicklungen jedoch nun auseinandersetzen – so der Tenor der Experten auf dem RSNA-Kongress 2016. Und die Botschaft kam an. Bei diesem Ansatz geht es darum, dass Computer bestehendes (medizinisches) Wissen lernen und auf dieser Grundlage Entscheidungen für neue Situationen treffen können. Auf die Radiologie heruntergebrochen bedeutet das: Ein Computer analysiert Daten zu Fällen und Befunden sowie aus Zusatzinformationen und generiert Diagnosevorschläge.

Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, tiefes Lernen

Nicht jeder, der diese Trendwörter in den Mund nimmt, hat die Definitionen gelesen; und so überlappten auf dem RSNA-Kongress denn auch die Bedeutungen – mit Grundaussagen, die aber tatsächlich zunehmend Effekte auf die Radiologie zeigen. Im Ausstellungsbereich zu Watson, der Lösung für medizinische Analysen von IBM, konnte man sich Beispiele zeigen lassen.

Die Geschwindigkeit des Fortschritts bei der künstlichen Intelligenz hat in der Radiologie in den letzten Jahren stark zugenommen, konstatierte in Chicago Keith J. Dreyer, PhD. Die Gründe hierfür liegen in der Entwicklung neuronaler Netzwerke, so der stellvertretende Leiter der Abteilung für Computer- und Informatikwissenschaft in der Radiologie am Massachusetts General Hospital in Boston. In seiner Keynote „Wenn Computer denken: der nächste Horizont der Radiologie“ beschrieb er, wie dank dieser Methoden Computer wie Menschen lernen und Entscheidungen treffen – oder zumindest vorschlagen – können. Müssen sich die im Radiologieumfeld Tätigen also jetzt bedroht fühlen?

Radiologen als diagnostische „Zentauren“

Die Radiologen und ihr Team werden nicht ersetzt, deutete Dreyer an. Aber sie sollten sich auf maßgebliche Veränderungen einstellen. Er zog eine Analogie zum IBM-Schachcomputer, der den Champion Garri Kasparow 1997 übertrumpfte: Zum einen wurde die siegreiche Maschine ja von Menschen geschaffen – was enorme Potenziale für die Forschung eröffnet. Zum anderen kann eine solche Lösung den Fachmedizinern wie damals beim Schach zur Inspiration dienen: Kasparow lernte aus der Situation und passte seine Spielstrategie der emotionsfreien, analytischen Spielweise des Computers an. Seinen Ansatz benannte er nach dem Zentauren – dem Pferd-Mensch-Wesen aus der griechischen Mythologie.

Der Zentaur aus Maschine und Mensch – mit dieser Allegorie stellte Dr. Dreyer in Chicago seine Sicht der Zukunft der Radiologie vor. Radiologen werden die Zentauren der Diagnostik sein; sie sollten es zulassen, dass Maschinen unser Wissen unterstützen. Die Mediziner können künftig durch sie „mehr tun – und mit gesteigertem klinischem Wertbeitrag“.

Vielversprechende Schnittmengen mit „Clinical Data Sciences“

Die Schnittmenge mit dem neuen Forschungsgebiet des Sammelns, Transformierens und der Analyse klinischer Daten spielt eine zentrale Rolle in der weiteren Entwicklung der Radiologie, so Dreyer weiter. Der Referent war selbst an der Eröffnung des neuen Clinical Data Service Centers beteiligt. Diese Einrichtung wird die Diagnose und Therapie am Massachusetts General Hospital in Boston von Grund auf ändern. Den Schlüssel dazu bilden maschinelles Lernen und neuronale Netze – mit ihrer Hilfe geschieht die Analyse des Fallwissens von Hunderten Radiologen. „Es gibt eine enorme Zahl an Anwendungsmöglichkeiten für künstliche Intelligenz in der Radiologie“, so der Vortragende. Er sieht im Kontext dieser Entwicklung die Disziplin als Grundstein der personalisierten Medizin. Eines der vielen aktuellen Anwendungsbeispiele ist laut Dreyer das Lungen-Screening in den USA: Mehr als neun Millionen Menschen sind dort Teil dieser Kampagne, und die automatisierte Analyse von Bildern kann wertvolle Unterstützung hinsichtlich Quantität und Qualität bieten.

Radiologen, so Dr. Dreyer in Chicago, sollten zum einen die bahnbrechende Entwicklung der künstlichen Intelligenz mit prägen. Zum anderen ermöglicht es ihnen die Technologie, die Rolle ihrer Disziplin in Diagnostik und Therapie weiter auszugestalten. In Forschung wie Routine wird diese Veränderung auch die Mitarbeiter im gesamten Team mit betreffen.

Entnommen aus MTA Dialog 02/2017

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