Während der amerikanische Chirurg Oliver Thomas Wendell (1809–1894) im Jahr 1842 die Infektiosität des Kindbettfiebers vermutete, proklamierte der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis (1818–1865), später auch „Retter der Mütter“ genannt, die Händedesinfektion vor der Geburtshilfe mit Chlorkalk. Semmelweis konnte damit die Letalitätsrate von Müttern durch postpartales Fieber von 15 % auf 2 % senken. Joseph Lister (1827–1912) begann nach dem Studium der Medizin seine Laufbahn als Chirurg in England. Zu dieser Zeit gehörten Wundinfektionen und Sepsis zur Tagesordnung. Antibiotika gab es noch nicht, und das Wissen um den Begriff der Hygiene war eher begrenzt. Die Letalitätsraten nach chirurgischen Eingriffen lagen zwischen 60 und 90 %. Diese Tatsache galt damals als normal, und so wurde die Entstehung von Wundeiter eher als erwünscht angesehen, denn Eiter wurde für jeden Heilprozess als notwendig erachtet.
Joseph Lister – von Unbekannt – Weltrundschau zu Reclams Universum 1902 | © Gemeinfrei
In dieser Zeit wurde wahrscheinlich auch der Ausdruck „Hospitalismus“ geprägt, der nichts anderes als die Entstehung von körperlichen Schäden nach längeren Krankenhausaufenthalten bedeutet. Anfangs beschäftigte sich Lister mit dem Thema der Blutgerinnung und den Entzündungsmechanismen. Er wurde in den 1860er-Jahren Professor für Chirurgie an der Royal Infirmary in Glasgow. Kurz nach seinem Antritt kam es zu einem drastischen, rätselhaften Anstieg von Todesfällen durch Infektionen bei offenen Knochenbrüchen. Thomas Anderson (1819–1874) war Professor für Chemie an der Universität Glasgow. Anderson machte Lister mit der „Keimtheorie“ Louis Pasteurs (1822–1895) bekannt. Lister erkannte nun in diesen, durch die Luft übertragenen Mikroorganismen, die eigentliche Ursache für die Entstehung der Wundeiterung. Auf der Suche, diese Übel einzudämmen, wählte er als Mittel zur chirurgischen Wunddesinfektion Karbolsäure (Phenol).
Der Chemiker Friedlieb Runge (1794–1867) entdeckte 1834 bei der Destillation von Steinkohleteer ein Nebenprodukt der Koksgewinnung aus Steinkohle; eine Substanz, die er zunächst Karbolsäure oder Karbol nannte. Der Chemiker Charles Gerhardt (1816–1856) bezeichnete dieses Molekül, das bei der Produktion von Leuchtgas aus Steinkohle entsteht, dann als Phenol (griech. phainomai = Leuchten). In der englischen Stadt Carlisle setzte man Karbolsäure erfolgreich zur Reinigung und Desodorierung (Geruchsbekämpfung zum Beispiel gegen Verwesungsgerüche) von Abwasser ein. Dieses Verfahren veranlasste Lister, mit Phenol zu experimentieren, und so wandte er Karbol erstmals zur Behandlung offener Knochenbrüche an. Er ging davon aus, dass Keime imstande sind, in Wunden einzudringen, sich dort zu ernähren und Fäulnisprozesse zu verursachen. Dominierend waren hier zunächst zwei Dinge: einerseits das Abtöten der Keime in den offenen Wunden, andererseits die Abtötung der Umgebungskeime in der Luft und zum Beispiel an den Händen des medizinischen Personals.
Anfangs verwendete er in hochprozentiger Karbolsäure getränkte Tücher, die er über die offenen Wunden legte. Es gelang ihm, die Entstehung einer Wundeiterung um circa 90 % zu verhindern. Diese zur Keimbekämpfung eingesetzten Maßnahmen werden als Antisepsis (griech. gegen Fäulnis) bezeichnet. Listers Ergebnisse wurden dann im April 1867 im Lancet veröffentlicht („Über eine neue Methode der Behandlung von komplizierten Knochenbrüchen, Abszessen usw., mit Beobachtung über die Bedingungen der Eiterung“). Bei unterschiedlichen weiteren Operationen setzte Lister dann verschiedene Verdünnungen des Phenols ein. Außerdem begann er, die Hände des Personals und die eingesetzten Instrumente zu desinfizieren. Hierzu entwickelte Lister ein Spray, das während der Operation an die Umgebung abgegeben wurde. Aber Joseph Lister hatte ebenso viele Kritiker wie auch Neider. Sein Hang zum Perfektionismus und seine stetig abgeänderten Rezepte brachten ihm in der damaligen medizinischen Welt nicht nur Bewunderung ein. Seine Methoden wurden vor allem von jüngeren Kollegen angewandt, während ältere Chirurgen diese eher ablehnten. Es entwickelte sich aber eine systematische Krankenhaushygiene. Durch das häufige Händewaschen des medizinischen Personals und die Einführung der Desinfektion von Instrumenten und Verbänden verloren Krankenhausaufenthalte ihren Schrecken, und die Patientensterblichkeit sank rapide.
In den Krankenhäusern lag zu dieser Zeit der typische Geruch des Karbols in der Luft. Wegen der hautreizenden Eigenschaften wurde Phenol dann im Laufe der Zeit durch andere Desinfektionsmittel ersetzt. Aber der Erfolg gab Joseph Lister Recht, sodass er 1877 eine Anstellung als Professor für Chirurgie am King’s College in London antrat. Die Royal Society wählte ihn 1892 zum Präsidenten, und fünf Jahre später wurde Lister als erster Chirurg von Queen Victoria in den Adelsstand erhoben. Das British Institute of Preventive Medicine wurde 1891 gegründet. Das Institut, dessen Präsident Lister bis zum Jahr 1911 war, wurde noch zu seinen Lebzeiten in „Lister Institute for Preventive Medicine“ umbenannt. Lister leistete weitere wichtige Beiträge, die die Chirurgie veränderten. Er entwickelte eine Aderpresse und war für die Einführung von sterilem Nahtmaterial (Catgut) verantwortlich. Somit war er einer der ersten Ärzte, die eine Gummidrainage verwendeten. Zu seinen Patientinnen gehörte dann später auch Queen Victoria (1819–1901).
Literatur
1. Corman ML: Classic articles in colonic and rectal surgery. On the antiseptic principle in the practice of surgery of Joseph Lister 1867. Dis Colon Rectum 1982;. 25: 173–8.
2. The collected papers of Joseph, Baron Lister, Joseph Lister 1909.
3. Wegbereiter der Chirurgie: Joseph Lister. Ernst von Bergmann, Wolfgang Genschor 1984.
Entnommen aus MTA Dialog 6/2017
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