Kennen Sie die Geschichte des Antoniusfeuers?

Nico Janz
Foto von Mutterkorn auf einer Ähre
© lebrac/stock.adobe.com
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Aus Zeugnissen und Kenntnissen der Vergangenheit grassierte in früheren Jahrhunderten neben der Pest und der Cholera eine andere schreckliche und geheimnisvolle Seuche.

Die Krankheit, der man den schleierhaften Namen „Antoniusfeuer“ oder „Heiliges Feuer“ gab, wütete epidemisch bis in das 18. Jahrhundert, ohne eigentlich eine Infektionskrankheit zu sein. Die sogenannte „Kribbelkrankheit“ zählte zu den gefürchtetsten Epidemien des Mittelalters. Das schreckliche Leiden manifestierte sich durch zwei unterschiedliche Verlaufsformen.

Gefühl des Verbrennens

Die eine Form der Erkrankung zeigte lang andauernde schmerzhafte Muskelkontraktionen. Es begann mit einem leichten Zwicken der Haut, gefolgt von äußerst schmerzhaften Krampfzuständen in den Extremitäten. Diese epilepsieartigen Zustände steigerten sich oft in einen körperlichen Zusammenbruch und endeten teilweise in Bewusstlosigkeit. Bei der schlimmeren zweiten Variante bekam die Haut der Erkrankten Blasen, wurde brandig, faul, geschwürig, kohlschwarz, vornehmlich an Händen und Füßen, die sich im Extremfall vom Körper lösten und mitunter schmerzlos und ohne Blutverlust abfielen. Deshalb bezeichnete man diese Krankheit auch als „Krampfseuche“, wobei die Patienten das Gefühl hatten, innerlich zu verbrennen.

Die Ärzte und Heiler des Mittelalters standen der Erkrankung unwissend und völlig hilflos gegenüber. Seit Ende des 11. Jahrhunderts wurden Patienten von karitativen Mönchsorden oder Bruderschaften in Spitälern gepflegt. Das gestiftete Spital der Antonius Mönche in St. Antoine in Grenoble hatte zu der Zeit einen besonders guten Ruf für die Behandlung der Brand- und Krampfseuche. Vielleicht war es das erste spezialisierte Fachkrankenhaus. Die Heilerfolge in diesem Spital prägten die Namensgebung der Krankheit, „heiliges Feuer“ oder „Antoniusfeuer“, weil die Patienten ihre Hoffnung im Gebet an den heiligen Antonius setzten. Antonius war einer der beliebtesten Schutzheiligen seiner Zeit, der in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts als Einsiedler und Wunderheiler in Ägypten gelebt haben soll. Die Mönche versuchten, den Patienten barmherzige Pflege und seelischen Trost zu geben. Gleichzeitig verordnete man kräftigende und schmerzlindernde Arznei aus dieser Zeit, die aber alles in allem keine Genesung herbeiführte. Kurioserweise wurden ausschließlich ärmere Menschen von dem Leiden befallen, während Wohlhabende meist unbescholten blieben.

Mutterkorn als Ursache

Doch was sind die Ursachen des Antoniusfeuers? Der Franzose Robert Dumond hat als Erster 1195 in einer Chronik Hinweise geliefert, dass der Genuss von schlechtem Brot Auslöser der „Kribbelkrankheit“ sein könnte. Dumond vermutete, dass dem Getreide ein dunkles verderbendes Korn beigemischt sei, worauf das Mehl giftig wurde. Dieses dunkle Korn, das „Mutterkorn“ an den Ähren von Getreide oder Gräsern, war schon den Griechen und Römern bekannt, sodass es wahrscheinlich schon Ausbrüche des Antoniusfeuers in der Antike gegeben haben musste. Auf einer 600 v. Chr. entstandenen assyrischen Tontafel ist das schädigende Mutterkorn an den Ähren bereits zu sehen. Doch es dauerte Jahrhunderte, bis das „Antoniusfeuer“ als eine Art Vergiftung mit dem auf Getreide wachsenden Mutterkornpilz erkannt wurde. Verächtlich wurde das Mutterkorn auch zum „Hungerkorn“ oder „Totenkorn“ degradiert. Der Naturforscher und Mediziner Johann Taube beschreibt in seinem 1782 erschienenen Buch „Die Geschichte der Kribbelkrankheit“ erstmalig, dass das Mutterkorn Auslöser der Seuche sei.

Aber was ist Mutterkorn eigentlich?

Den unscheinbaren, hochgiftigen Pilz Mutterkorn gibt es, seit Getreide angebaut wurde. Mutterkorn ist ein sogenannter Schlauchpilz, der als eine Art Parasit Gräser und Getreide wie Weizen und Roggen befällt. Nach der Infektion des Pilzes in die Pflanze bildet sich anstatt des Korns ein längliches dunkelviolettes bis schwarzes gekrümmtes, kornartiges Gebilde in reifenden Kornähren, besonders im Roggen, das man damals für lediglich missgestaltete echte Getreidekörner hielt. Das schwarze Pilzgewebe überwintert im Boden, keimt im Frühjahr, bildet Sporen, die sich im Wind verbreiten, um dann wieder neue Gräser zu befallen. Der Pilz enthält giftige Alkaloide (natürliche Stoffe, die psychoaktive oder toxische Wirkung haben), die zu Gefäßverengungen führen. Die Gliedmaße werden nicht mehr durchblutet und können absterben. Es drohen Atem- und Herzstillstand. Der letzte bekannte Ausbruch der „Kribbelkrankheit“ ereignete sich 1926 in der Sowjetunion. Es starben circa 10.000 Menschen an vergiftetem Brot. Der Pilz befällt immer noch Getreide. Jedoch sind heute die Ursachen bekannt und wissenschaftlich aufgearbeitet. Heutzutage schützen landwirtschaftliche Maßnahmen und Getreidereinigungsverfahren den Verbraucher vor dieser Gefahr, sodass wir unser täglich Brot ohne Angst zu uns nehmen können.


Literatur

1. Die fantasievolle Darstellung der „Versuchung des heiligen Antonius“ vom Isenheimer Altar, geschaffen von Matthias Grünewald
2. Taube J: Die Geschichte der Kriebel-Krankheit, 1782
3. Bauer VH: Das Antonius-Feuer in Kunst und Medizin (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1973/1973), Springer 1974
4. Karger-Decker B: Kräuter Pillen Präparate. Leipzig: Koehler & Amelang, 1970.

 

Entnommen aus MT im Dialog 4/2024

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