Interview mit Dr. Hugo de las Heras Gala zum Einsatz von VR

„Höhere Motivation für guten Strahlenschutz“
Die Fragen stellte Ludwig Zahn.
Titelbild: Screenshot der VR-Umgebung mit Strahlung
Abb. 1: Screenshot der VR-Umgebung mit Strahlung © Silas Fuchs /Northdocks GmbH
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Dr. Hugo de las Heras Gala ist Physiker und Referent beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für Externe Dosimetrie und Qualitätssicherung in der Röntgendiagnostik und hat das VR-Projekt beim BfS betreut. Wir haben ihn zu den ersten Erfahrungen beim Einsatz im Bereich Strahlenschutz befragt.

Herr Dr. de las Heras Gala, welche Überlegungen haben das Bundesamt für Strahlenschutz dazu bewegt, eine Virtual-Reality-(VR-)Anwendung zu entwickeln?

Es waren eigentlich zwei Dinge. Zum einen die eher praktische Erkenntnis aus dem Klinikalltag, dass Ärztinnen und Ärzte – also zum Beispiel Radiologinnen/Radiologen, Kardiologinnen/Kardiologen, Neuroradiologinnen/Neuroradiologen, die bei ihrer Arbeit im Krankenhaus Interventionen durchführen – die Strahlenschutzmittel vielleicht nicht immer ganz so einsetzen, wie es aus Strahlenschutzsicht ideal wäre. Zumindest hatten wir dieses Feedback in den vergangenen Jahren immer wieder aus dem medizinischen Bereich erhalten.

Also kam die Frage auf, was dabei helfen könnte, das zu verbessern. Und wie auch in jedem anderen Bereich, macht ja auch hier Übung den Meister. Mit dem Zusatz, dass man üben sollte, bevor man bildgestützte Interventionen durchführt. Im Austausch mit Klinikerinnen und Klinikern kam dann schon vor geraumer Zeit mal die Idee auf, ob so eine Übungsumgebung nicht vielleicht virtuell sein könnte. Uns wurde dann schnell klar, dass es kaum besser geht als mit einer VR-Anwendung. Denn man kann die Umgebung sehr wirklichkeitsgetreu abbilden, mit ähnlichen Räumen, mit einer zu behandelnden Person und auch allen Schutzmitteln, die auch im Klinikalltag zum Einsatz kommen.

Und die zweite Überlegung?

In einer virtuellen Umgebung kann man die ionisierende Strahlung sichtbar machen – dass man Strahlung in der Realität nicht sehen oder fühlen kann, ist ja gerade in der Risikokommunikation ein großes Problem. In der Anwendung geht das jedoch und geschieht zum einen durch farbig leuchtende Strahlen, die vom C-Bogen ausgehen. Zum anderen sind in der VR auch immer Messgeräte im Sichtfeld, die die Veränderung der Dosis anzeigen. Unsere Idee war, dass damit ein „Aha-Effekt“ eintritt und auch eine höhere Motivation für guten Strahlenschutz. Denn der Nutzer sieht nicht nur die Strahlung, sondern eben auch, wie Schutzmittel die Dosis reduzieren. Eine solche VR-Anwendung eignet sich deshalb optimal als Schulungstool, das bei der Ausbildung vom Personal eingesetzt werden kann.

Wie lange hat es dann gedauert, bis aus den Überlegungen eine fertige Anwendung wurde?

Das Vorhaben wurde im Rahmen des Ressortforschungsplans des BMUV finanziert. Von der Definition des ursprünglichen Konzepts bis zur Vergabe dauerte es etwa ein Jahr. Forschungsnehmer wurde die Firma Northdocks, die bereits Erfahrung mit virtuellen Übungsumgebungen hatte. Die Umsetzung des Interventionsraums ist deshalb auch wirklich sehr realistisch gelungen. Das Projekt hat zwei Jahre in Anspruch genommen … also insgesamt circa drei Jahre.

In der Anwendung kann man als medizinisches Personal also in einem Interventionsraum an einem C-Bogen arbeiten und sich dafür auch unterschiedliche Schutzmittel „anziehen“ – warum haben Sie sich für dieses Szenario entschieden?

Bei den sogenannten C-Bögen ist die Exposition nicht nur für den Patienten besonders hoch, sondern auch für diejenigen, die damit arbeiten. Also haben wir uns zunächst für dieses Gerät entschieden.

Aus Strahlenschutzsicht liefert so ein Szenario einfach eine besonders wichtige Übungsumgebung. Zumal bei Interventionen in der Regel auch mehrere Personen im Raum sind, das macht die Anwendung auch für einen breiteren Personenkreis relevant.

 


Was sind die Ziele beim Einsatz der VR-Anwendung und wo soll sie eingesetzt werden?

Die VR-Anwendung soll eine möglichst realistische Übungsumgebung bieten, mit der sich Maßnahmen des Strahlenschutzes trainieren lassen – und damit auch Grundlagen des Strahlenschutzes in der Medizin auf hoffentlich sehr eindrückliche Weise vermitteln. Als Zielgruppe sehen wir alle, deren Arbeitsalltag auch in einem Interventionsraum stattfindet, also vor allem Medizinische Technologinnen/Technologen für Radiologie (MTR) und Ärztinnen sowie Ärzte. Das BfS wird die fertige Anwendung nach offiziellem Abschluss des Projektes kostenlos auf seinen Seiten zur Benutzung anbieten, und wir könnten uns vorstellen, dass zum Beispiel Krankenhäuser oder Fortbildungsstellen sie dann nutzen.

Welches Equipment ist denn nötig, um die Anwendung einzusetzen?

Zur Benutzung braucht man einen Computer mit einer gewissen Leistungsstärke und entsprechender Grafikkarte. Und dann natürlich eine VR-Brille. Deshalb sehen wir die Anwendung nicht primär im privaten Umfeld und beim Einzelnutzer oder der Einzelnutzerin, sondern eher bei größeren Einrichtungen.

Wer durfte die Anwendung denn bereits ausprobieren? Wie liefen die ersten Tests?

Wir haben die Anwendung in Köln an der Universitätsklinik mit etwa drei Dutzend Probandinnen und Probanden getestet und an einem der beiden Universitätsklinika in München. In Köln waren Ärztinnen/Ärzte, Studierende und Physiker/-innen darunter, die meisten waren MTR. In München waren es ausschließlich Medizinerinnen und Mediziner. Und dann natürlich noch viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesamt für Strahlenschutz. Die Tests liefen sehr gut ab; wir haben sehr gutes Feedback bekommen. Insbesondere die MTR fanden es spannend, die Anwendung zu testen.

Welches Feedback haben Sie denn konkret bekommen?

Zum einen wurde gelobt, wie realistisch der Raum aussah. Der Auftragnehmer, die Firma Northdocks, hat sich mit echten Interventionsräumen und Geräten auseinandergesetzt. Von der Lackierung des Geräts bis zur Beleuchtung war es deshalb wohl ziemlich nah an dem, was die Nutzer/-innen schon kannten.

Auch, dass man sich in dem Raum bewegen kann, war spannend. Die teilnehmenden MTR fanden es übrigens besonders interessant, in der Anwendung mal die Position des Arztes oder der Ärztin einzunehmen. Die MTR stehen ja in der Regel etwas weiter entfernt vom Gerät, meist an den Füßen des Patienten oder der Patientin. In der Anwendung bekommt man wie auf einem Notebook auch immer die aktuelle Dosisleistung (in mSv pro Sekunde) angezeigt. Und im Vergleich zum/zur Interventionalisten/Interventionalistin ist die Dosis dort etwa 50-fach geringer. In der Anwendung kann man sehr gut nachvollziehen, welchen Unterschied etwa zwei Meter Abstand bei der Strahlenbelastung ausmachen.

Aus praktischen Gründen war die Dauer dieser Testläufe auf zehn Minuten begrenzt, und die Teilnehmer/-innen hätten gern noch länger damit gearbeitet und Dinge probiert. Wenn diese Anwendung als Lernmodul verwendet wird, fällt diese Begrenzung natürlich weg.

 

Gab es Probleme bei der Nutzung, zum Beispiel mit Motion Sickness?

Nein, niemandem wurde schlecht, niemand brauchte eine Pause. Es gab zur Vorbereitung auch ein kleines Tutorial, um zu üben, sich zu bewegen, die Hände zu nutzen oder durch den Raum zu gehen.

Für einige wenige war es etwas merkwürdig, das erste Mal in der Anwendung zu „gehen“ – aber das waren tatsächlich nur sehr wenige. Es ist ja auch ein leicht seltsames Gefühl. Vielleicht vergleichbar mit Rolltreppe fahren – auch da ist man ja auch ein bisschen überrascht über die Bewegung. Und gewöhnt sich jedoch sehr schnell daran.

Was würden Sie nach den Erfahrungen sagen: Was sind die Vorteile eines VR-Ansatzes? Lässt sich Wissen damit besser vermitteln?

Sowohl vor als auch nach dem Test haben wir eine Umfrage durchgeführt. Denn wir wollten wissen, wie das Vorwissen ist und ob die Teilnehmenden durch die Anwendung etwas gelernt haben und dann die Fragen besser beantworteten.

In den ersten Testläufen war die Lernkurve noch überschaubar, allerdings haben wir dazu auch noch viele Verbesserungsvorschläge und Anregungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern bekommen, die wir noch eingebracht haben. Zum Beispiel, dass man deutlicher sehen kann, wie die Strahlendosis war oder welche Schutzmittel man genutzt hat.

Im zweiten Testlauf am 21. August 2023 in Köln war dann auch ein Lerneffekt messbar.

Was würden Sie sagen: Wann wird VR im Alltag bei der Wissensvermittlung im Bereich Strahlenschutz in der Breite ankommen und wann wird die endgültige Version an den Start gehen?

Im Laufe des Herbstes wird die Anwendung online zur Verfügung gestellt. Und dann hoffen wir, dass die Anwendung über Krankenhäuser und Fortbildung weitergetragen wird. Künftig möchten wir die Anwendung auch bei Konferenzen vorstellen und für Tests zur Verfügung stellen.

Wird der Ansatz noch auf andere Gebiete ausgerollt?

Natürlich wären ähnliche Anwendungen auch in weiteren Gebieten der Medizin denkbar. Etwa bei CT-Interventionen oder bei nuklearmedizinischen Anwendungen. Man könnte auch das richtige Verhalten bei Vorkommnissen üben. Ob und wie eine Erweiterung erfolgt, hängt auch von den Rückmeldungen und Vorschlägen ab, die wir von den hoffentlich zahlreichen Nutzerinnen und Nutzern dieser ersten Version erhalten werden.

Vielen Dank für das Interview.

 

Entnommen aus MT im Dialog 11/2023

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