Impfen oder nicht? Und wenn ja, wann? Diese Fragen stellen sich Eltern nicht erst seit der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geforderten Masernimpfpflicht. Als wissenschaftlich fundierte Entscheidungshilfe stehen Eltern wie Ärzten der Impfkalender der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Verfügung. In der Fachzeitschrift „Pädiatrie up2date“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2019) fassen zwei Pädiater die aktuellen Empfehlungen für Kinder und Erwachsene zusammen.
Mit ihrem Fortbildungsbeitrag möchten Prof. Dr. med. Fred Zepp und Dr. med. Frank Kowalzik nicht in die aktuelle politische Diskussion eingreifen. Dennoch plädieren die Mediziner des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Mainz klar dafür, dass jedes Kind spätestens bis zum Schuleintritt über einen vollständigen Impfschutz verfügen sollte.
Da es hierzulande keine Impfpflicht gibt, gehöre es zu den Aufgaben der Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte, ihre Patienten zu den von der STIKO empfohlenen Impfungen zu beraten. „Dabei spielt nicht nur der Schutz des Individuums eine Rolle, sondern auch der sogenannte Herdenschutz“, betonen die beiden Pädiater. Neugeborene, chronisch Kranke oder immungeschwächte Patienten, die (noch) nicht selbst geimpft werden können, seien auf den indirekten Schutz durch eine hohe Impfquote in der Bevölkerung angewiesen.
Schutzimpfungen für Erwachsene
Mögliche Impfrisiken – die Hauptsorge von Eltern – werden bei den STIKO-Empfehlungen bereits berücksichtigt. „Unerwünschte Wirkungen können zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, sind bei sachgerechter Anwendung aber sehr selten“, sagt Zepp. Für oft diskutierte Folgen wie Autoimmunphänomene oder autistische Störungen gebe es keine Hinweise. Auch sei die Angst, dass das in Impfstoffen enthaltene Aluminium schädlich sein könnte, unbegründet. So sei die Aufnahme von Aluminium über Impfstoffe deutlich geringer als die individuelle Aluminiumbelastung aus der Umwelt, etwa über Kosmetika.
Auch wenn sich Zepp und Kowalzik speziell mit Impfempfehlungen für Kinder befassen, lassen sich dabei Schutzimpfungen für Erwachsene nicht völlig ausblenden, so die Autoren. Schließlich kommen Erwachsene bei nachlassendem Impfschutz als Überträger wieder ins Spiel. Liege etwa die letzte Pertussisimpfung oder -erkrankung mehr als zehn Jahre zurück, steigt das Risiko, unerkannt an Keuchhusten zu erkranken.
„Weil die typischen Symptome bei Erwachsenen oft fehlen, können sie Säuglinge unwissentlich in Gefahr bringen“, so die Autoren. Es sei daher ratsam, die Keuchhustenimpfung zumindest alle zehn Jahre aufzufrischen. Um auch Babys vor ihrer ersten Pertussisimpfung vor einer Ansteckung zu schützen, wird sogar die Impfung von Schwangeren im letzten Schwangerschaftsdrittel diskutiert. Über die mütterlichen Antikörper wären die Kinder dann in den ersten Lebensmonaten zuverlässig geschützt.
Einrichtung eines Impfregisters für alle Bürger
Eine in den Impfkalender aufgenommene Änderung betrifft die Impfung gegen humane Papillomviren (HPV), die Gebärmutterhalskrebs verursachen können. Bislang galt die Empfehlung nur für Mädchen. Seit 2018 gilt sie auch für Jungen. Denn eine HPV-Infektion birgt auch für sie Risiken. Schätzungsweise treten bei Männern pro Jahr 1.600 bis 2.300 HPV-bedingte Krebserkrankungen auf. Mit der Impfung beider Geschlechter kann die Verbreitung des Virus und der damit verbundenen Gesundheitsrisiken weiter eingedämmt werden.
In Anbetracht der aktuellen Diskussion um die Masernimpfpflicht, entsteht der Eindruck, dass Eltern dem Impfen zunehmend skeptisch gegenüberstehen. Laut den Autoren sind die Teilnahmequoten in den vergangenen Jahren jedoch gestiegen und liegen für die meisten Impfungen bei über 90 Prozent. Werde eine Impfung verpasst, sei das häufig keine bewusste Entscheidung gegen die Impfung. Oft gerieten die Impftermine einfach in Vergessenheit. Die Schuleingangsuntersuchung böte dann eine gute Möglichkeit, auf Impflücken aufmerksam zu machen.
Bislang werde der Impfstatus der Kinder jedoch noch nicht in allen Bundesländern routinemäßig erfasst. Die Einrichtung eines Impfregisters für alle Bürger wäre ein wichtiger Fortschritt. Ein weiterer Ansatzpunkt seien Einladungssysteme der Arztpraxen, über die Patienten an anstehende Impfungen erinnert werden, wie auch eine aufwandsgerechte Finanzierung der Impfaufklärung in der Praxis. Auf diesem Wege könnten die Impfraten vermutlich rascher und konfliktärmer erhöht werden als über Zwangsmaßnahmen, sind die Autoren überzeugt.
F. Kowalzik und F. Zepp: Impfempfehlungen für Kinder und Jugendliche. Pädiatrie up2date 2019; 14 (1); S. 34–55.
Quelle: fzm, Mai 2019
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