Schon bald könnte die Gehirnaktivität ähnlich einfach erfasst werden wie bislang Handydaten und Bewegungsprofile. Enorme Fortschritte im Bereich Künstlicher Intelligenz machen das möglich, auch aufgrund millionenschwerer Investitionen weltweit. Doch bislang sind diese hochsensiblen Daten im nicht-medizinischen Umfeld viel zu wenig geschützt. Zu diesem Schluss kommen Neurowissenschaftler, Mediziner und Ethiker unter Beteiligung des Universitätsklinikums Freiburg im Fachmagazin Nature. „Daten der Hirnaktivität sind unsere persönlichsten Daten überhaupt. Wir brauchen dringend eine gesellschaftliche Debatte, wie Hirndaten genutzt werden dürfen, bevor die Konzerne Fakten schaffen“, sagt Dr. Philipp Kellmeyer, Wissenschaftler an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg und einziger europäischer Ko-Autor des Artikels, der im November 2017 erschienen ist.
Weltweites Forschungsrennen um Neurotechnologie
Rund 100 Millionen Dollar investieren Unternehmen wie Google und Facebook sowie Tesla-Gründer Elon Musk jährlich in entsprechende Neurotechnologien – Tendenz steigend. Bereits heute gibt es erste Geräte für Konsumenten, die die Hirnaktivität aufzeichnen. Sie werden wie ein Kopfhörer aufgesetzt und sollen den Nutzern helfen, ihre Konzentrationsfähigkeit zu steigern und Stress abzubauen. „Die Unternehmen kommen viel schneller voran als ursprünglich gedacht. Ein großflächiger Einsatz könnte in den nächsten drei bis fünf Jahren erfolgen“, sagt Dr. Kellmeyer. Bisherige Leitlinien wie die Deklaration von Helsinki und die Allgemeinen Menschenrechte beantworten die Frage nach der Nutzung der Daten nur unzureichend. Deshalb haben die Autoren vier Bereiche erarbeitet, in denen besonderer Handlungsbedarf besteht.
Datenschutz
Geräte, mit denen die Hirnaktivität erfasst werden kann, sollten die Daten nur nach ausdrücklicher Zustimmung der Nutzer teilen dürfen. „Nutzer müssen Herr über ihre Daten bleiben. Eine mögliche wirksame Einschränkung wäre ein Verbot für den Verkauf und Handel solcher Daten, ähnlich wie bei menschlichen Organen“, sagt Dr. Kellmeyer.
Verantwortung und Identität
Bei der gezielten Veränderung der Hirnaktivität kann sich auch heute schon die Eigenwahrnehmung einer Person ungewollt verändern. In Extremsituationen kann die Grenze verschwimmen, ob eine Handlung selbst- oder fremdbestimmt ist. „Manipulationen der Hirnaktivität außerhalb medizinischer Therapien müssen verhindert werden. Darum sollte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte um den Schutz der Hirnaktivität erweitert werden, sozusagen Neurorechte“, erklärt Dr. Kellmeyer.
Selbstoptimierung und militärische Nutzung
Auch Methoden zur Optimierung von Hirnfunktionen, etwa zur Verbesserung des Gedächtnisses, werden weiterentwickelt. Dabei besteht das Risiko, dass medizinische Anwendungen für militärische Einsätze zweckentfremdet werden. „Statt mit einem blinden Verbot sollte solchen missbräuchlichen Anwendungen durch einen umfassenden Rechtsrahmen entgegengewirkt werden“, sagt Dr. Kellmeyer.
Vorurteile durch Computer vermeiden
Erst die Auswertung der Hirnaktivität durch selbstlernende Computerprogramme, sogenanntes Maschinelles Lernen, ermöglicht die massenhafte Auswertung der riesigen Datenmengen. Dafür arbeitet der Computer in der Regel riesige Datenmengen durch. Wenn diese Datengrundlage aber nicht neutral ist, sondern zum Beispiel soziale Ungleichheiten enthält, ist auch die Auswertung tendenziös. Wenn als Grundlage für ein Analyseverfahren beispielsweise nur Daten von Männern genutzt werden, werden Frauen möglicherweise benachteiligt. „Der Lernprozess eines Computers ist aber selbst für die Software-Entwickler nicht immer klar nachvollziehbar. Deshalb ist eine neutrale Datengrundlage extrem wichtig. Hier fordern wir mehr Forschung dazu, wie die Datengrundlage fair und repräsentativ wird“, sagt Dr. Kellmeyer. (idw, red)
Rafael Yuste, Sara Goering, Blaise Agüera y Arcas, et al.: Four ethical priorities for neurotechnologies and AI. Nature, 551: 159–163, 09 November 2017, DOI:10.1038/551159a.
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