Herausforderungen bei Diagnose und Therapie

Hirnblutungen sind komplex – Innovationen bringen Vorteile
Mirjam Bauer, Michael Reiter
Titelbild zum Beitrag über Diagnose und Therapie bei Hirnblutungen
Abb. 1: Epiduralhämatom und Subduralhämatom © UK Augsburg/Berlis
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Hirnblutungen zeigen eine enorme Vielfalt, betont Prof. Dr. Ansgar Berlis. So geschehen parenchymale Blutungen direkt ins Hirn, subarachnoidale Blutungen ins Hirnwasser, epidurale Hämatome zwischen Schädeldecke und harter Hirnhaut, subdurale Blutungen zwischen Hirnhaut und Hirnoberfläche, erklärt der Direktor der Diagnostischen und Interventionellen Radiologie am Universitätsklinikum Augsburg.

Die Blutungen unterscheiden sich stark hinsichtlich der Inzidenz und des üblichen Alters der Patienten. Für die Diagnose stellen sich somit die Fragen nach der Art der Blutung, in welchem Zusammenhang sie aufgetreten ist und welches Alter der Patient beziehungsweise die Patientin hat. „Dann arbeitet man die Ursache mit Methoden der Bildgebung heraus, um herauszufinden, ob die Ursache behandlungswürdig ist.“

Blutungen ins Gehirn hinein werden durch eine Entgleisung aufgrund hohen Blutdrucks verursacht. Bei Hypertonikern ab 60 oder 70 Jahren, so der Experte, könne man davon ausgehen, dass diese Ursache vorliegt – das Platzen eines Gefäßes im Rahmen einer Blutdruckkrise. Ist die Blutung atypisch, liegt sie also etwa bei einem 20-Jährigen an einer Stelle, an der üblicherweise ein hypertonischer 70-Jähriger eine Blutung aufweisen würde, müsse man nach der Ursache suchen. Laut Berlis könne diese auf einer Gefäßriss- beziehungsweise -fehlbildung beruhen; nur acht bis zehn je eine Million Menschen treten pro Jahr auf.

Folgen und Therapien

Auch hier zeige sich laut dem Radiologen eine enorme Bandbreite: Große Blutungen können zum Versterben führen; aber auch kleinere Blutungen etwa ins Hirnwasser können durch Komplikationen den Tod verursachen – ab dem 4. bis 14. Tag, durch Gefäßkrämpfe, die aufgrund von Durchblutungsstörungen potenziell tödlich verlaufende Schlaganfälle mit sich bringen. Berlis: „Solche Blutungen im Subarachnoidalraum haben in 80 bis 85 Prozent der Fälle Aneurysmen als Ursache; 30 bis 40 Prozent der Patienten sterben sofort nach dem Platzen des Gefäßes. Auf der Intensivstation versterben dann zehn bis 20 Prozent an den Folgen der – nicht raumfordernden – Blutung aufgrund ihrer Lokalität.“

Eine weitere Ursache bei Älteren ist eine gewisse Schrumpfung des Gehirns; wenn sich dieses im Hirnwasser bewegt, kann es zu Abrissen von Venen und somit Blutungen kommen. Diese sind lebensbedrohlich; sie müssen innerhalb kürzester Zeit versorgt werden. Die maximale Zeit bis zum Eingriff betrage vier bis fünf Stunden, fährt der Radiologe fort.

Komplexe Symptome

Es handelt sich hierbei um den Symptomkomplex des akuten Schlaganfalls; Durchblutungsstörungen können vorliegen, aber auch gegebenenfalls Blutungen, die wiederum eine Schlaganfallsymptomatik auslösen. „Erfahrene Mediziner mögen den Patienten ansehen, welche Problematik vorliegt; eine Klärung ermöglicht die Bildgebung“, sagt Berlis. Vorrangig kommt in akuten Situationen die Computertomografie (CT) zum Einsatz, mitunter auch die Magnetresonanztomografie (MRT). CT-Angiografie und CT-Perfusion sind weiterführende Methoden.

Dass die MRT weniger häufig verwendet wird, liegt an der geringeren Geräteverfügbarkeit, aber auch daran, dass der Patient im MRT alleine ist – und mehrere Minuten ruhig liegen bleiben muss, was einem Akut-Schlaganfall-Betroffenen schwer zu vermitteln ist. Auch bei einer 40-Sekunden-Sequenz werde dies zu einem Problem, unterstreicht der Radiologe.

 

Neues in der Diagnostik – Hilfe durch KI

Künstliche Intelligenz (KI) kann das betroffene Schlaganfallareal ermitteln, quantifizieren und hochrechnen. Solche Tools böten Unterstützung in unserer Zeit, in der qualifiziertes Personal immer knapper wird, so Berlis. NRW sei ein aktuelles Beispiel; hier klagt ver.di ein, dass eine festgelegte Zahl von MTA bei Geräten zur Verfügung stehen müsse. Dieses Dilemma, beschreibt der Radiologe, sei zur Qualitätssicherung richtig; beim bestehenden Personalmangel könne das aber zum Ausschalten von Geräten führen, was für die Versorgung nachteilig sei. MTA stehen in der Diagnostik in der Verantwortung bei der Erzeugung qualitätsvoller Bilder, bei den Rekonstruktionen mit Gefäßdarstellungen und mit Perfusionsbildgebung.

Die Therapie betrifft die Neurologen, Neurochirurgen und Neuroradiologen. Liegt ein Aneurysma oder eine Malformation vor, werden Behandlungsoptionen diskutiert. So komme laut dem Radiologen bei einer aktiven Blutung keine Strahlentherapie infrage. Also müsse man die Blutungsquelle aktiv verschließen, etwa durch Methoden der Neurochirurgie oder der – in den letzten 20 Jahren innovationsstarken – Neuroradiologie.

„Der überwiegende Teil der blutenden Aneurysmen und Malformationen wird heute über das Gefäßsystem behandelt“, sagt Berlis. „MTA sind hier im Hinblick auf die zu verwendenden Materialien gefordert, etwa Kleber und Kunststoffembolisate. Sie werden über die Leiste mit dem Katheter in das betroffene Gefäß am Hals per Mikrokatheter eingeführt. Die Arbeit im Gehirn ist sehr fordernd – so muss man wissen, ob der Patient Links- oder Rechtshänder ist, um das Sprachzentrum zu lokalisieren und dies in die Planung des Eingriffs einzubeziehen.“

Chronisch subdurale Hämatome betreffen vornehmlich ältere Menschen mit altersbedingter Volumenminderung; von diesen Hämatomen werden immer mehr verschlossen, seit die Pathologie besser verstanden wird. Wenn sich die Therapie durchsetze, betont der Radiologe, werde dies ein umfangreiches Patientengut betreffen.

In technologischer Hinsicht bietet die Flat-Panel-Bildgebung in Angiografien heute eine sehr CT-nahe Bildgebung mit hoher Bildqualität; daher ist sie laut Berlis beim Schlaganfall als initiale Bildgebung denkbar. Die Diagnostik ließe sich auf ein Gerät zusammenführen, was das Vorgehen wesentlich beschleunigen würde.

 

Innovative Unterstützung bei der Diagnostik

Ein Beispiel für den Einsatz künstlicher Intelligenz in diesem Bereich komme aus Vietnam, berichtet Joachim Mollin, Geschäftsführer hcc GmbH in der Nähe von München. Er bietet international das Open-Source-basierte KIS myCare2x an und arbeitet im Rahmen eines Telemedizin-Projekts mit dem Viet Duc University Hospital in Hanoi/Vietnam zusammen. Präzisere Diagnosen und eine enorme Beschleunigung der Befundung seien die Vorzüge der Lösung mit künstlicher Intelligenz, von denen Bùi Trung Nghia berichtet. Der Chirurg am Universitätsklinikum beschreibt die Vorgehensweise: Mediziner und Medizinerinnen in umgebenden Landkrankenhäusern laden diagnostische DICOM-Bilder aktueller Fälle auf den myCare2x-KI-Server hoch, Algorithmen vergleichen die Bilder mit einem Volumen an qualifizierten Daten und produzieren einen Diagnosevorschlag. Die Mediziner vor Ort können dann Experten in Hanoi hinzuziehen. Nicht nur für die zahlreichen Mopedfahrer, die in Vietnam verunfallen, bringt diese Lösung signifikante Vorteile.

Innovation bei der Therapie: das Startup ABAStroke

Was sind die wichtigsten Herausforderungen bei der Therapie dieser Patienten? „Die traurige Wahrheit ist, dass sich viele Patienten vom Gesundheitssystem im Stich gelassen fühlen“, erklärt Michał Ryś. Dies liege daran, dass zu wenige Neuropsychologen verfügbar seien, um Interventionen durchzuführen, während es auch keine evidenzbasierte Intervention gebe, von der die Patienten profitieren und die sie selbst anwenden könnten. „Die Lebensqualität dieser Patienten ist viel niedriger als vor einer Hirnverletzung, und sie haben ein Risiko für andere psychische Störungen wie Depressionen“, erklärt der Gründer und Geschäftsführer von ABAStroke weiter.

Wie kann das Start-up hier helfen? „ABAStroke ist darauf ausgerichtet, diese Herausforderungen anzugehen“, fährt Ryś fort. „Unsere App wird eine klinisch validierte, vollautomatische, personalisierte, digitale Rehabilitation kognitiver Defizite bieten – und dies von zu Hause aus. Sie lässt sich nach Schlaganfällen, Hirnblutungen und auch traumatischen beziehungsweise anderen Hirnverletzungen einsetzen.“

Das System basiert auf der „Applied Behavior Analysis“ (ABA), die üblicherweise zur Therapie autistischer Kinder zum Einsatz kommt. Wie sich herausstellte, sei sie auch sehr effektiv bei der Rehabilitation kognitiver Defizite nach Hirnverletzungen. Ryś: „Wir haben ABA mit dem Wissen von Neurologen, Neuropsychologen und weiteren Experten kombiniert, die sich um Patienten mit kognitiven Defiziten kümmern. Dann haben wir all dies um Machine-Learning-Algorithmen ergänzt, die den Rehabilitationspfad für jeden Patienten personalisieren. Das führt wiederum zu einer erhöhten Motivation für die Nutzung unserer App und einer höheren Effektivität.“ Die Lösung wird klinisch validiert und als Medizinprodukt der Klasse IIa zertifiziert.

 

So funktioniert die App

Der Patient beziehungsweise die Patientin beginnt mit einem Selbsteinschätzungstest, auf dessen Grundlage er beziehungsweise sie einen personalisierten Rehabilitationspfad erhält und dann die Lösung drei Monate hindurch verwendet. Die ausgeklügelte Technologie beinhaltet unter anderem, dass der Rehabilitationspfad nicht aus einem vorgefertigten Set ausgewählt, sondern individuell für einen bestimmten Patienten generiert und während der Rehabilitationszeit ständig angepasst wird.

ABAStroke befindet sich in der Phase der Forschung und Entwicklung. Die Ergebnisse der Beobachtungsstudien mit sechs Patienten, die vier Wochen lang den Prototyp der App genutzt haben, lauten gemäß Ryś:

Die Teilnehmer hatten im Post-Test bessere Ergebnisse als im Pre-Test.

Sitzungen mit digitalen Therapeutika allein konnten so lang sein wie Sitzungen mit dem Neuropsychologen – die Teilnehmer waren fokussiert und motiviert, der Fortschritt war sehr schnell und in jeder Sitzung zu sehen.

Die technologische Barriere ist niedrig – es wurde deutlich, dass digitale Therapeutika von Menschen über 60 Jahren (und sogar über 80, wie es bei einem der Patienten in der Studie der Fall war, der intensiv mitgearbeitet hat) verwendet werden können.

Die Methodik und Technologie sind auf einem guten Weg zu erfolgreichen künftigen klinischen Studien.

Klinische Studien sollen in der zweiten Hälfte dieses Jahres durchgeführt werden. Der primäre Endpunkt soll ein Ergebnis des Montreal-Cognitive-Assessment-Test (MoCa) sein, der sekundär eine positive Veränderung im Gehirn nach sich zieht, wie in der fMRT beobachtet wird.

„Aus regulatorischer Sicht ist MoCa zwar das Wichtigste; das Ergebnis in fMRT ist jedoch spannender“, betont Ryś. „Wenn wir eine positive Veränderung im Gehirn nachweisen, wird dies ein Game Changer. So kommen wir von einer App zu einem digitalen Therapeutikum.“ Und wenn Patienten die Lösung regelmäßig für drei Monate verwenden, könne dies Ergebnisse ähnlich wie jene liefern, die in kontrollierten klinischen Studien im wirklichen Leben möglich sind. Motivationssysteme, Gamification und patientenfreundliches Design sollen hierfür laut Ryś die Basis liefern. Er hofft auf eine Listung von ABAStroke im DiGA-Verzeichnis Anfang des Jahres 2024.

Fazit

Für MTA ist dieses Arbeitsgebiet äußerst abwechslungsreich, resümiert Berlis – von den vertieft diagnostischen hin zu therapeutischen Aufgaben der Assistenz. Neue Methoden erfordern hohe Qualifikationen der MTA – in einer Flut schneller Untersuchungen, bis zu 120 CTs an einem Gerät heute, und einem explosionsartig wachsenden Volumen an Daten. Die konkreten Aufgabenstellungen unterscheiden sich dabei je nach Haus, erläutert der Radiologe.

 

Informationen zu weiteren innovativen Anbietern

Die folgenden Hersteller sind im Kontext KI-Unterstützung bei Hirnblutungen aktiv:

Das französische Unternehmen avicenna ist über die Website https://avicenna.ai/ (E-Mail: contact@avicenna.Ai) erreichbar, 30 Tage kann man deren Software kostenfrei testen – sie sind unter anderem auf hämorrhagische Schlaganfälle spezialisiert.

Die Firma annalise.ai mit Sitz in Sydney, Großbritannien und Singapur bietet KI-unterstützte klinische Entscheidungsunterstützung und CE-zertifizierte radiologische Bildinterpretationen auch in Europa, Australien, Neuseeland und Malaysia an (https://annalise.ai/).

Das im Jahr 2016 in Indien gegründete junge Unternehmen qure.ai unterstützt mit sieben Produkten in verschiedenen radiologischen Bereichen mit KI (https://qure.ai/).

Rapid AI aus den USA entwickelt seit 2008 Software speziell für Schlaganfälle und deren Erkennung. Seit 2017 ist die CE-zertifizierte Plattform in Europa nutzbar (https://www.rapidai.com/).

Entnommen aus MTA Dialog 9/2022

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