Gentests für die Medizin – und Lifestyle

Sind neue Laborangebote eine attraktive Erweiterung der Aufgaben für MT?
Michael Reiter
Foto von Dr. Daniel Wallerstorfer
Dr. Daniel Wallerstorfer, Gründer und CEO von Novogenia © Novogenia
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Den Kampf gegen die Pandemie unterstützte dieses Genlabor in Eugendorf bei Salzburg mit einem beeindruckenden Volumen an PCR-Tests. Inzwischen hat sich Novogenia mit ganz neuen Angeboten an die Marktentwicklungen angepasst.

Während die Genomsequenzierung nach § 64 e SGB V einen deutlichen Schub für medizinisch indizierte Aufträge bringen könnte, schöpft der Laborchef Potenziale für Prävention und Lifestyle aus.

Die normale klinische Genetik ist typischerweise „Damage Control“, erläutert Dr. Daniel Wallerstorfer. Er ist Gründer und CEO von Novogenia. „Jemand ist erkrankt und man prüft, welcher Gendefekt schuld daran war“ – eine im Markt verbreitete Leistung. „Was fehlt, ist die präventive Genetik – ein Risiko zu erkennen und die Erkrankung vor dem Eintreten zu verhindern. Dieser Ansatz stecke in den Kinderschuhen und sei ein großer Teil des Portfolios in Eugendorf. „Prävention wird nur leider viel zu wenig forciert und gefördert. Somit bleibt das eine Privatleistung“, unterstreicht der Laborchef.

Ebenso interessant und rasch wachsend ist laut Wallerstorfer die Pharmakogenetik – Medikamentennebenwirkungen aufgrund von Gendefekten vorher erkennen und durch angepasste Dosis oder Arzneimittelalternativen verhindern.

Der Einfluss des § 64 e SGB V

Das deutsche Modellvorhaben bietet innerhalb von fünf Jahren 700 Millionen Euro für umfassende Diagnostik und Therapiefindung in der Onkologie mittels Genomsequenzierung. Wie bewertet dies der Laborchef? „Ich sehe es als einen wichtigen Schritt in der Gesundheitsversorgung, mehr über die Entwicklungsbedingungen von Krebs, über gezielte Therapien und Therapieanpassungen zu lernen.“ Heute unheilbarer Krebs könne dadurch zu einer chronischen Erkrankung ohne Tod werden. Wie sich der Krebs verändert, so verändere sich auch die Therapie, um ihn in Schach zu halten. „Wir freuen uns darauf, Teil der verstärkten Aktivität hinsichtlich der Genomsequenzierung zu werden – zum Wohle der Patientinnen und Patienten, als innovativer Bestandteil der Regelversorgung in Deutschland.“ Vielversprechend erscheint Wallerstorfer auch die Rolle bei der Stärkung der internationalen genommedizinischen Forschung im Sinne einer wissensgenerierenden Versorgung.

Nutrigenetik: Lifestyle-Angebot

Auftraggeber des Lifestyle-orientierten Angebots von Novogenia sind Heilpraktiker und ähnlich ausgerichtete Heilberufler. Sieht Wallerstorfer auch Potenziale für eine erweiterte Zusammenarbeit mit Krankenhäusern – etwa Diätassistenten, für Tests und für Nahrungsprodukte, beispielsweise im Kontext Onkologie? „Da unsere Produkte noch sehr im Selbstzahlerbereich liegen, ist die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern komplizierter als gedacht. Trotz des Potenzials in der Nutrigenetik bleiben öffentliche Institutionen meist bei den traditionellen Ernährungsempfehlungen.“ Je weiter sich diese Möglichkeiten verbreiteten, desto eher fänden sie auch den Weg in die Regelversorgung – ein langer Weg. „Heute sind diese Möglichkeiten leider nur den Menschen zugänglich, die sich spezifisch daran interessieren und die sich diese auch leisten können und möchten.“

Rasante Entwicklung bei den Geräten

„Über die letzten 15 Jahre haben sich die durch uns genutzten Technologien und Geräte rasant weiterentwickelt“, erinnert sich der Laborchef. Gestartet sei Novogenia 2009 mit einfachen PCR-Maschinen, die 100 Gentests auf einmal durchführen konnten – also eine Person auf 100 Gendefekte testen oder 100 Personen auf einen. „Etwas später kam die Miniaturisierung, sodass 400 Gentests auf einmal durchgeführt werden konnten. Der nächste Schritt war 800 Tests auf einmal.“

 


Mit der Mikrofluidik kam ein Sprung, bei dem sich 9.000 Tests auf einmal durchführen ließen. Hierauf folgte der Sprung auf 750.000 DNA-Variationen pro Person. Aktuell, so Wallerstorfer, sei KI in Verwendung, die „bestimmte Variationen aus unserer Analyse nimmt, die weiß, welche gemeinsam vererbt werden – und die das auf derzeit 32 Millionen DNA-Variationen hochrechnen kann.“ Bei jeder Person würden somit heute 32 Millionen DNA-Variationen getestet. „Damit sind wir europaweit führend.“

Viele der Variationen hätten keine Auswirkung auf den Körper, viele andere wiederum hätten einen noch unbekannten Effekt … und zahlreiche weitere hätten einen bekannten Einfluss. So gebe es im Kontext der Laktoseintoleranz eine einzige relevante Genvariation. „Dazu verwenden wir selbstdesignte DNA-Chips (Microarrays) und Geräte von Illumina.“

„Wir sind ein Hochdurchsatzlabor“, erklärt Wallerstorfer. „Bei den einfachsten Tests haben wir eine Kapazität von 600.000 pro Tag, und unser Tagesrekord lag bei 275.000 Tests beziehungsweise Proben.“ Bei komplexeren Tests sei die Kapazität geringer. Ein neues Firmenge­bäude befinde sich im Bau. „Wir rüsten von unseren 4.000 m² auf 12.000 m² und zu voll automatisierten Prozessen auf.“ So lasse sich das geplante Wachstum stemmen.

Wie sehen die konkreten Abläufe für die Tests aus? Partner können sich beim Großlabor melden und werden über ein Portal über Genetik im Allgemeinen und die angebotenen Produkte geschult. „Danach bekommen Partner ein eigenes Portal, über das sie und ihre Kunden bestellen können.“ Beim Bestellvorgang, so Wallerstorfer, werde eine einfache Speichelprobe genommen, im Portal mit der Person assoziiert und nach Salzburg geschickt. Nach der Analyse erstellt das Labor die bis zu 400 Seiten langen individuellen Berichte, druckt sie aus und sendet sie an den Partner zur Beratung. „Werden zusätzlich Nahrungsergänzungsmittel personalisiert bestellt, werden alle Analyseergebnisse zusammengefasst, das Rezept erstellt und das individuelle Nahrungsergänzungsmittel an den Kunden gesendet. Der Partner profitiere von der Vermittlung; bei Kosmetik geschehe dies ähnlich.

Aufgaben der MT

In Österreich heißen die MT BMA. „Sie sind für den klinischen Routinelaborbetrieb ausgebildet. Gesetzlich dürfen manche Analysen nur von ihnen durchgeführt oder überwacht werden. Biologen und BMAs sind somit meist gemeinsam im Labor, entwickeln neue Analysen und machen die Routine“, erläutert der Laborchef. Was macht die Arbeit bei einem Labor wie Novogenia, mit seinem Lifestyle-Ansatz, besonders? „Unser Labor ist ein sehr innovatives Privatunternehmen und reagiert im Vergleich zum durchschnittlichen klinischen Routinelabor sehr schnell“, so Wallerstorfer. „Wir sind immer mit neuen Technologien vorne dabei und setzen auf Innovation.“ Klinische Labors seien hingegen üblicherweise traditionell ausgerichtet und würden mit einer Umrüstung warten, bis sich neue Technologien weitverbreitet haben. Innovation finde relativ langsam statt.

„Wenn man als Biologe und BMA/MT eine Start-up-Atmosphäre voll Innovation haben möchte, sind wir der richtige Partner“, unterstreicht der Laborchef. Wer hingegen einen geregelten Routinejob haben möchte – was absolut legitim sei –, werde von der konstanten High-Speed- und Change-Philosophie in Eugendorf sicher überwältigt. „Das haben wir während der COVID-Testungen gesehen: Mitarbeiter mit Change-Philosophie sind trotz des großen Drucks aufgeblüht, anderen wurde es schnell zu viel.“ Verdienen würden die Mitarbeitenden mäßig über dem Branchendurchschnitt, „aber wir lassen sie am Erfolg des Unternehmens teilhaben“. So seien nach COVID Boni im Wert von einer Million Euro an alle Mitarbeitenden ausgeschüttet worden.

 


Optionen für MT

„MT/BMAs sind bei uns Mangelware“, unterstreicht Wallerstorfer. Durch ihre besondere Stellung in der Routinediagnostik verdienen sie auch besser als ihre Biologen-Kollegen. Während COVID waren sie beispielsweise kaum zu bekommen. Nach Einschätzung des Laborchefs gebe es in Österreich freie Stellen für MT – ohne dass er die Lage in Labors genauer kenne. Das Labor sei offen für neue Partner in Deutschland, so Wallerstorfer: „Wir sind ein Technologieunternehmen und haben aufwendige Innovationen in der Diagnostik und der Personalisierung von Nahrungsergänzung und Kosmetik entwickelt. Unser Kerngeschäft ist es, diese Technologien als Technologielohnhersteller anzubieten.“ Partner könnten sich ihre Genanalysen, Blutanalysen, Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetik von den Salzburgern konzipieren lassen und diese unter eigener Marke vertreiben. Für Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberater, Ärztinnen/Ärzte beziehungsweise Physiotherapeutinnen/-therapeuten habe das Großlabor Systeme entwickelt, die es ihnen ermöglichen, die neuen Möglichkeiten in ihre Praxis zu integrieren.

Sieht Wallerstorfer Chancen für deutsche Krankenhäuser einer Portfolioerweiterung – etwa im Kontext der Krankenhausreform und des künftigen Zusatzschwerpunktes der Prävention? Der Fokus auf Prävention sei nie in die Tat umgesetzt worden, urteilt der Laborchef. Politiker würden verstehen, dass Prävention wichtig sei und Geld sparen würde, aber limitierte Mittel und kurze Amtsperioden machten dies unmöglich. Wenn Prävention wichtiger werden sollte, würde ihn dies sehr freuen; in der Genetik stecke hierzu viel ungenutztes Potenzial. Er sehe dies jedoch eher beim Hausarzt und bei Spezialisten.

Was definitiv ins Krankenhaus gehöre, sei die Pharmakogenetik – Medikamentennebenwirkungen durch Gendefekte vorhersehen und vermeiden. „Heute“, betont Wallerstorfer, „stirbt einer von 250 Klinikpa­tienten nicht an der Erkrankung, wegen der sie aufgenommen wurden, sondern wegen Medikamentennebenwirkungen.“ Viele davon ließen sich mit Pharmakogenetik verhindern. An die Bedürfnisse von Krankenhäusern angepasste Genanalysen zur Prävention und Pharmakogenetik ließen sich, so der Laborchef, in Rekordgeschwindigkeit anbieten.

 

Entnommen aus MT im Dialog 10/2024

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