Für die Sprache der Duden, für den Mediziner der Pschyrembel

Willibald Pschyrembel (1901 bis 1987)
Laura Isabel Koch
Der Pschyrembel
Der Pschyrembel de Gruyter
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Sein Name ist untrennbar mit einem der wohl bedeutendsten medizinischen Nachschlagewerke verbunden: Der „Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch“ trägt seinen Namen zu Recht, da Willibald Pschyrembel dieses Lexikon von der 19. bis zur 254. Auflage editierte.

Mit seinem knappen, verständlichen und präzisen Stil prägte er das Werk auf eine Weise, dass es zum Standardwörterbuch der Medizin wurde.

Prof. Dr. phil. Dr. med. Willibald Pschyrembel lebte und wirkte im 20. Jahrhundert. Er wurde vor 115 Jahren am 1. Januar 1901 zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs als einziger Sohn seiner Eltern in Berlin geboren und wuchs in Lüdenscheid auf. Bekannte Zeitgenossen seiner Generation sind unter anderem Erich Kästner (1899 bis 1974), Marlene Dietrich (1901 bis 1992), Ferdinand Sauerbruch (1875 bis 1951) und Hans Berger (1873 bis 1941).

Pschyrembel studierte von 1920 bis 1924 Naturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Physik an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Humboldt-Universität umbenannt wurde. 1924 promovierte er bei Ludwig Bernhard zum Dr. phil. in Physik über das Thema „Entwicklung und Stand der Elektrotechnik in Japan“.

Danach arbeitete er als Physiklehrer und studierte gleichzeitig von 1926 bis 1932 Medizin. Seinen Lebensunterhalt bestritt der musikalisch begabte Student durch aktive Teilnahme an Hausmusikveranstaltungen, die in den Häusern stattfanden, in denen er zur Untermiete wohnte. Prominente Mitmusiker waren unter anderem Max Planck und Albert Einstein. Über seine Studienjahre berichtete er: „Wegen der Wohnungsnot verfügte der Berliner Magistrat, dass Besitzer von Luxusvillen am Stadtrand Zimmer an Studenten vermieten mussten. So wurde ich zum unfreiwilligen Mitbewohner einer großen Villa am Dämeritzersee und erhielt nicht selten Einladungen zu geselligen Abenden. Was war das für eine Stadt, dieses Berlin zur damaligen Zeit! Da ist es vorgekommen, dass an einem Abend zwei, drei, ja vier Nobelpreisträger in einem Raum anzutreffen waren.“

Nach der Approbation war er ein Jahr als Medizinalpraktikant im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin tätig. Im Jahr 1935 erlangte Pschyrembel bei dem berühmten Chirurg Ferdinand Sauerbruch mit der Arbeit „Die Osteomyelitis der Patella“ die Doktorwürde in Medizin. Pschyrembel war mit der Gabe eines logischen Denkers und begnadeten Lehrers ausgestattet und konnte außerdem als talentierter Erzähler lebhaft und spannend von seinen Lehr- und Wanderjahren berichten. Dabei schilderte er seine Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Max Planck, Max von Laue, August Bier und Ferdinand Sauerbruch. Er liebte vor allem die französische Literatur, die er nicht nur in der Originalsprache gelesen hatte, sondern bei jeder passenden Gelegenheit auch zu zitieren wusste, selbstverständlich in fließendem Französisch. In Paris hatte er sogar sein Dolmetscherdiplom erworben; gemeinsam mit Paul Schober gab er ein medizinisches Wörterbuch „Französisch/Deutsch“ heraus. Seinen Horizont erweiterte er durch mehrere Aufenthalte in Frankreich und Weltreisen, die er meist mit beruflicher Tätigkeit verband; so war er zum Beispiel auch für einige Monate als Schiffsarzt tätig.

Seine eigentliche Heimat aber war und blieb Berlin. In Neukölln begann seine berufliche Laufbahn als Frauenarzt. Bereits als Oberarzt genoss er einen Ruf, der weit über die Stadtgrenze hinaus reichte. Dieser Ruf gründete sich einerseits auf seiner außergewöhnlichen Arztpersönlichkeit, die Patientinnen und Mitarbeiter gleichermaßen verständnisvoll und klug begleitete, überzeugte und lenkte. Andererseits hatte er durch Vermittlung seines Gönners August Bier eine Empfehlung zum Direktor des weltberühmten de Gruyter-Verlages, Dr. Kurt-Georg Cram senior, erhalten und die Herausgabe des Dornblüth’schen Wörterbuchs übertragen bekommen. An der wissenschaftlichen Vertiefung und didaktischen Gestaltung dieses Werkes konnte er seine umfassenden enzyklopädischen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen. Und das Ergebnis glich einer Sensation auf dem deutschsprachigen Büchermarkt: Von der 19. bis zur 254. Auflage wurde aus dem relativ dünnen Wörterbuch „der Pschyrembel“, der heute noch in allen Bücherschränken und auf allen Schreibtischen von Fachleuten und gebildeten Laien zu finden ist. „Alle Begriffe, ja selbst die schwierigsten Zusammenhänge müssen von jeder Schwesternschülerin verstanden werden“, lautete die Devise des neuen Herausgebers und vorbildlichen Didaktikers an alle Mitautoren des Klinischen Wörterbuches.

Eine Kuriosität des Pschyrembel ist der fingierte Artikel über die von Loriot erdachte Steinlaus: Anfangs ein Scherz der Redaktion in der 255. Auflage, die ihn in der 257. Auflage wieder entfernte und nach vielen Lesernachfragen ab der 258. Auflage wieder einsetzte, findet der Eintrag heute eine große Fangemeinde und bekam sogar ein eigenes Weblog.

Ab 1937 arbeitete Pschyrembel als Oberarzt am Städtischen Krankenhaus Berlin-Neukölln. 1945 erhielt er den Ruf an das Krankenhaus im Friedrichshain, um dort nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine Frauenklinik mit Geburtshilfe aufzubauen. Er und seine drei Oberärzte Hoffbauer, Gramatté und Groher bildeten die Friedrichshainer Schule der Geburtshilfe und Gynäkologie, von der ganze Generationen von Ärzten, Schwestern und Hebammen geprägt worden sind. Von 1945 bis 1961 leitete er als Chefarzt die Frauenklinik. Seine Höflichkeit und sein charmantes Auftreten waren bekannt. Für alle hatte er ein offenes Ohr. Seine Visiten wurden von vielen als Erlebnis empfunden; bei seinen Patientinnen fiel er durch sein warmherziges und taktvolles Wesen auf, bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern glänzte er durch stets neue und anregende Gedanken, seine Studenten und Schüler beeindruckte er durch seine verständlichen und aufhellenden Erklärungen. Er wurde Mitglied der Sektion Medizin der Akademie der Wissenschaften.

Pschyrembel habilitierte sich 1950 bei Walter Stoeckel und wurde 1952 als außerplanmäßiger Professor an die Humboldt-Universität berufen. Er gehörte zu den herausragenden Hochschullehrern der Nachkriegsgeneration. Seine Vorträge und Vorlesungen sollen wie seine Lehrbücher – „Die praktische Geburtshilfe“ und „Die praktische Gynäkologie“ gewesen sein: brillant, logisch durchdacht und didaktisch gut aufbereitet. Seine praktischen Ratschläge sind legendär. Einige Beispiele: „Das Gespräch mit Ihrem Patienten führen Sie im Sitzen und nicht im Stehen und schon gar nicht zwischen Tür und Angel.“ „Es nutzt Ihrem Patienten nichts, wenn Sie an eine notwendige Untersuchung denken, Sie müssen sie auch veranlassen.“ „Denken Sie im Interesse Ihres Patienten stets an die jeweils gefährlichere Alternative, und verfolgen Sie diese mit allen diagnostischen Mitteln, aber teilen Sie es Ihrem Patienten nicht gleich mit.“ „Hochschullehrer versuchen stets richtige Antworten zu geben, und dabei ist es viel wichtiger, dass sie die richtigen Fragen stellen.“ „Warum wundern Sie sich so sehr, Sie zeigen damit nur, dass Sie keine Menschenkenntnis besitzen.“ „Volle Blase – Wehenbremse.“ „Jede Blutung in der Menopause ist so lange Krebs, bis das Gegenteil bewiesen ist.“

Auch nach 1961 erfreute er sich als Vorsitzender der Berliner Gynäkologischen Gesellschaft der Achtung und Verehrung seiner Kollegen, als praktizierender Frauenarzt der Zuneigung und des Vertrauens seiner Patientinnen und als Herausgeber seiner Bücher der Begeisterung seiner Leserschaft.

Er leitete die Frauenklinik bis kurz nach dem Mauerbau und löste am 13. August 1961 seinen Vertrag mit dem im Ostteil der Stadt gelegenen Krankenhaus im Friedrichshain sowie seine Tätigkeit als Hochschullehrer an der Charité in beiderseitigem Einverständnis auf, weil eine ungestörte Arbeit unter den politischen Gegebenheiten nicht mehr möglich sei.

Pschyrembel betrieb danach im Westteil der Stadt eine eigene Praxis, er widmete sich verstärkt der medizinischen publizistischen Tätigkeit. Bis 1982 (254. Auflage) ergänzte Pschyrembel das Wörterbuch fortlaufend und gab es heraus. Seitdem ist der Berliner Verlag Walter de Gruyter Herausgeber und für die redaktionelle Betreuung verantwortlich. Seit Ende der 1990er Jahre verwendet der Verlag den Namen Pschyrembel auch als Marke für neue, das Klinische Wörterbuch ergänzende medizinische Wörterbücher. Bis 2014 sind mittlerweile 266 Auflagen erschienen; die aktuelle Auflage umfasst 2.348 Seiten und enthält 2.500 farbige Abbildungen, 500 farbige Tabellen und mehr als 3.000 aktualisierte Stichwörter sowie 700 neue Fachbegriffe.

Mit zunehmendem Alter zog sich Pschyrembel bewusst von großer Gesellschaft und der Öffentlichkeit zurück. Täglich saß er noch mehrere Stunden im Souterrain-Arbeitsraum seines Hauses in Berlin-Charlottenburg und aktualisierte sein Lieblingskind, das Klinische Wörterbuch. Am 26. November 1987 starb er nach wenigen Tagen Krankheit relativ plötzlich im Alter von 86 Jahren. Seinem eigenen Wunsch entsprechend, wurde sein Tod erst nach der Beisetzung bekanntgegeben. Er lebt in seinem Werk fort, diese Redewendung gilt mit Sicherheit für Willibald Pschyrembel.

Auszug von Veröffentlichungen

Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. Berlin: Walter de Gruyter, 266. Auflage 2014.
Willibald Pschyrembel: Praktische Geburtshilfe. Berlin: Walter de Gruyter, 1947 (21., von Joachim Dudenhausen überarbeitete Auflage, 2011).
Willibald Pschyrembel, Günter Strauss, Eckhard Petri: Praktische Gynäkologie. Berlin: Walter de Gruyter, 5., neu bearbeitete Auflage 1991 (Reprint 2011).

Literatur:

 1.    Der Spiegel 51/1987; www.spiegel.de/spiegel/print/d-13526195.html; www.spiegelgruppe-nachdrucke.de (letzter Zugriff am 7.10.2015).
 2.    geboren.am/person/willibald-pschyrembel, (letzter Zugriff am 7.10.2015).
 3.    uni-protokolle.de/Lexikon/Willibald_Pschyrembel.html (letzter Zugriff am 7.10.2015).
 4.    de.wikipedia.org/wiki/Willibald_Pschyrembel (letzter Zugriff am 7.10.2015).
 5.    www.arezteblatt.de/archiv/25969/Willibald-Pschyrembel-Enzyklopaedische-Faehigkeiten (letzter Zugriff am 7.10.2015).
 6.    ptaforum.pharmazeutische-zeitung.de/index.php (letzter Zugriff am 7.10.2015).

Entnommen aus MTA Dialog 9/2016

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