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Es ist nicht alles Schnee, was weiß ist

Toxikologie
Laura Isabel Koch
Es ist nicht alles Schnee, was weiß ist
Crystal Meth © Psychonaught – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC0 über Wikimedia Commons
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„Es war schrecklich, mir selbst zuzusehen, wie ich langsam Stück für Stück verschwand. Aber es gab nichts, was mein Leben machen konnte, um mich von der Droge wegzubringen.“

Maximal fünf Stunden Schlaf, jeden Tag sein Bestes im Job geben – und bloß keine Fehler machen – in vielen Berufen sind die Anforderungen extrem hoch. Wer viel leistet, muss sich auch regelmäßig ausruhen und Kraft tanken. Doch Globalisierung und immer neue Technologien machen den Arbeitsalltag schnelllebig. Hinzu kommt ein immer größeres Arbeitspensum. Um durchzuhalten, greifen viele zu einer Notlösung: Gehirn-Doping. Anfangs lassen sich 70-Stunden-Wochen noch durch Fleiß und Motivation kompensieren, doch mit der Zeit laugen Körper und Geist aus. Folgeerscheinungen sind Gereiztheit, Konzentrationsschwäche, Angstzustände und Schlafstörungen.

Aber die Angst, nicht die nötige Leistung zu erbringen oder gar den Job zu verlieren, treibt Betroffene nicht in den Urlaub, sondern in die stetige Verausgabung. In Deutschland nehmen um die zwei Millionen Erwerbstätige regelmäßig Drogen oder Medikamente – ohne tatsächliche Erkrankung, nur um die tägliche Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Während LSD und Heroin in den 70er Jahren für Revolte und Anderssein standen, steht Crystal Meth für den heutigen Zeitgeist: performen in allen Lebenslagen. Mehr denn je definieren wir uns über Leistung. Besser, schneller, effizienter auf der Arbeit. Schöner, klüger, fitter privat. Während uns früher höchstens interessierte, was der Nachbar macht, messen wir uns heute mit der ganzen Welt.

Zu unserer leistungsbezogenen Gesellschaft passen leistungssteigernde Drogen wie Crystal so gut wie iPhones und Burnout. Junge Menschen konsumieren Crystal, um tagelang durchzufeiern. Bauarbeiter halten sich leistungsstark, um nach Feierabend noch ein paar Aufträge extra zu erledigen. Junge Frauen setzen auf die hungerhemmenden Substanzen, um schnell abzunehmen. Die Motive sind vielfältig, doch alle Konsumenten verfolgen ein Ziel: besser durch- und mithalten zu können. Damit das in allen Lebenslagen gelingt, greifen sogar immer mehr Menschen zu Drogen-Cocktails. Morgens ein Aufputschmittel, um Bestleistungen zu erbringen, abends ein Schlafmittel zum Runterkommen. Die eine Substanz gleicht die unerwünschte Nebenwirkung der anderen aus. So funktioniert man immer und einwandfrei.

Die Bereitschaft, sich zu Zwecken der Selbstoptimierung zu manipulieren, ist gestiegen. Schönheits-OPs und Doping im Freizeitsport gehören zur Normalität. Wir rennen Idealen hinterher, die im Normalzustand schlichtweg nicht zu erreichen sind. Mit leistungssteigernden Drogen kommt man diesen Idealen etwas näher und die eigenen Schwächen verschwinden – zumindest vorübergehend.

Das weiße Pulver, das für Spaß haben und Durchtanzen steht, ist auch für jene Leute interessant, die sich nicht vorstellen können, sich eine Spritze zu setzen. Die scheinbare Ähnlichkeit zu Speed und Koks lassen die Hemmung, es einmal auszuprobieren, sinken.

Es ist die Mischung aus Faszination und Verharmlosung, die Crystal so gefährlich macht.

Crystal Meth ist eine synthetisch hergestellte Substanz aus der Stoffgruppe der Phenylethylamine. Methamphetamin gehört zur Substanzklasse der Amphetamine, es ist ein Stimulans und indirektes Sympathomimetikum, es regt also die sympathischen Teile des vegetativen Nervensystems an. Es kann in seiner kristallinen Form geraucht werden, meist wird es aber als Pulver geschnupft oder als Tablette geschluckt. Dann ist der Rausch zwar weniger intensiv, hält aber länger an. Löst man die Droge auf, kann man sie auch spritzen, welches die Suchtgefahr im Vergleich zu den anderen Methoden noch einmal drastisch erhöht.

Abb. 1: Strukturformel Amphetamin, Synonyme: (S)-N-Methyl-1-phenylpropan-2-amin (IUPAC), N-Methylamphetamin (MA), (S)-2-Methylamino-1-phenylpropan, Desoxyephedrin, Crystal Meth, Crystal Speed, Ice, Pervitin, Yaba (Thailand), Wint (Russland), Crank (USA), Shishe (Iran), Sisa (Griechenland), Tik (Südafrika), Pee (Neuseeland). Summenformel: C10H15N.

Zwar führt im Prinzip jede Droge zur Sucht, aber bei Crystal gibt es kaum einen Ausweg. Das hängt vor allem damit zusammen, dass es reiner ist als andere Suchtmittel. Wobei „rein“ bei einer chemischen Mixtur aus Batteriesäure, Farbverdünner und anderen derartigen Substanzen natürlich ein relativer Begriff ist. Gemeint ist hier nicht eine Reinheit, die sich auf die körperliche Verträglichkeit bezieht, sondern es geht vielmehr um die Reinheit im Hinblick auf die sogenannten Wirkstoffe – also jenen Anteil des Inhalts, der die Wirksamkeit einer Droge ausmacht. Bei Kokain wird beispielsweise in der Regel von einem Reinheitsgrad um die 25 % ausgegangen, die restlichen 75 % setzen sich aus unterschiedlichsten Streckmitteln zusammen. Bei Crystal liegt der Reinheitsgrad mindestens über 70, nicht selten sogar bei etwa 90 %. Häufig setzt daher schon der erste Konsum von Crystal einen kaum mehr aufzuhaltenden Kreislauf in Gang.

Doch die Droge ist keine neue Erfindung, im Gegenteil. 1893 stellte der japanische Chemiker Nagayoshi Nagai erstmals die psychoaktive Flüssigkeit her; in den 1920er Jahren kristallisierten Chemiker mit Hilfe von Salzsäure den Feststoff, der heute als Crystal Meth bekannt ist, das Methamphetamin-Hydrochlorid in kristalliner Form. Mit der Entwicklung des Hydrochlorids wurde der Stoff für die Medizin nutzbar – und für den Krieg: Als „Panzerschokolade“ hielt es Soldaten während des Blitzkriegs an der Westfront wach und diente zur Dämpfung von Angstgefühlen. Es steigerte die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit bei Soldaten, Fahrzeugführern und Piloten. In den USA wurde Methamphetamin im Jahre 1970 (bis auf wenige medizinische Ausnahmen wie zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen und Kindern ab 6 Jahren, Narkolepsie und als Anorektikum bei krankhaftem Übergewicht) verboten, aber in Deutschland blieb der Stoff unter dem Handelsnamen Pervitin noch bis 1988 erhältlich.

Als im Oktober 1940 ein Beitrag in der Münchener Wochenschrift (MMW) erschien, in dem Pervitin für beinahe alle Krankheiten empfohlen wurde, sah sich die Reichsgesundheitsführung veranlasst, den Psychiater Ernst Speer als bekannten Kritiker des Medikaments mit einer Gegendarstellung zu beauftragen, die ebenfalls in der MMW erschien. Durch nachträgliche Analyse von Adolf Hitlers Gesundheitsakten wird übrigens vermutet, dass auch Hitler spätestens ab 1943 pervitinabhängig war.

Zwar reduzierte sich der Einsatz der Droge ab 1941 merklich, da sie durch das geänderte Reichsopiumgesetz nur noch auf Rezept erhältlich war, aber sowohl Bundeswehr als auch Nationale Volksarmee lagerten Pervitin „für den Ernstfall“ bis zu den 1970er Jahren ein. Es war Bestandteil der Verpflegung der Fallschirmjäger und wurde selbst bei Übungen ausgegeben. Bei Piloten war es für den Notfall vorgesehen und der Verbandskoffer der NVA enthielt sogar bis 1988 Pervitin. Und auch nach 1945 wurde der Wirkstoff vom US-Militär noch zur Leistungssteigerung eingesetzt, beispielsweise während des Vietnam-Kriegs.

Die Rückkehr des Methamphetamin in die Welt der Drogen war im Grunde genommen einem Unfall geschuldet: In Amerika versuchte man, die Verbreitung anderer Drogen zu unterdrücken und öffnete damit Crystal sperrangelweit die Tür. Während der frühen Siebzigerjahre gehörten Drogen hier zum Lebensstil vieler einfach dazu. Eine der verbreiteten Drogen war Amphetamin, meist Speed genannt. Vor allem an der Westküste der USA produzierten überwiegend Motorradgangs mit ihren Drogenköchen den Stoff und brachten große Mengen davon unters Volk. Ein einfaches und vor allem einträgliches Geschäft, welches allerdings ein jähes Ende fand, als der Verkauf des zur Herstellung notwendigen Grundstoffs 1-Phenyl-2-propanon beziehungsweise Phenylaceton von staatlicher Seite eingeschränkt und strengen Regeln unterworfen wurde.

Die kriminellen Köpfe der Gangs wollten sich vom Staat natürlich nicht die blendend laufenden Geschäfte zerstören lassen und suchten nach Alternativen. Diese taten sich sogar überraschend schnell auf, als einige der Speedköche auf die Idee kamen, es einmal mit Ephedrin zu versuchen. Dieser Stoff ist in unzähligen verschreibungsfreien Medikamenten enthalten – vor allem in Erkältungsmitteln, die dessen schleimhautabschwellende Komponente nutzen.

Damit war für die Gangs das größte Problem beseitigt, denn Ephedrin ließ sich in großen Mengen beschaffen. Hinzu kam ein weiterer Vorteil: Was die Drogenköche mithilfe des Ephedrins produzierten, war nicht mehr das bekannte Amphetamin, sondern chemisch gesehen stellten sie ein Amphetamin mit einer zusätzlichen Methylgruppe her. So fabrizierten sie einen Stoff, der doppelt so wirksam war wie das Amphetamin. Aber damit noch nicht genug, nicht nur das Ephedrin, sondern auch die übrigen notwendigen Zusatzstoffe ließen sich völlig legal aus Haushaltsmitteln gewinnen, ohne also in irgendeinen Konflikt mit dem Gesetz zu geraten. Zusätzlich bekam die Droge ein außergewöhnliches und vor allem ansehnliches Äußeres: Statt als Pulver oder Pillen kam das Methamphetamin in Form von Kristallen auf den Markt. Damit war der Grundstein für eine neue Erfolgsdroge geschaffen.

Abb. 2: Typische private Crystal-Meth-Küche

Die nächste Stufe der Verbreitung wurde erreicht, als der Mexikaner José de Jesu’s Amezcua Conteras mit seinen Brüdern Adam und Luis Kontakt zu den Gangs aufnahm. Bis dahin hatte die Conteras-Familie ihr Geld überwiegend mit Kokainschmuggel über die mexikanisch-amerikanische Grenze verdient, wollte nun aber groß in den Ephedrin-Handel einsteigen und die Biker mit dem benötigten Grundstoff beliefern. Der Deal wurde abgeschlossen, die eigentlichen Gewinner dabei waren aber die Mexikaner. Sie beschafften bald Ephedrin in wahnsinnigen Mengen. Einiges davon verkauften sie weiter, den Großteil jedoch verwendeten sie, um selbst Methamphetamin herzustellen, über die Grenze zu schmuggeln und zu verkaufen. Das Geschäft der Brüder wurde bald als Colima-Kartell bekannt, sie stiegen zu den wohl größten Ephedrin-Händlern und Crystal-Produzenten auf.

Die US-amerikanische Drogenvollzugsbehörde Drugs Enforcement Administration (DEA) ermittelte, dass allein durch das Amezcua-Kartell binnen 18 Monaten 170 Tonnen Ephedrin in die USA gelangt waren – genug Grundstoff für zwei Milliarden Verkaufsportionen Crystal.

Zu diesem Zeitpunkt war Crystal in puncto Herstellung und Vertriebswesen noch eine Droge wie unzählige andere auch: Professionelle und kriminelle Organisationen kümmerten sich um Produktion und Verkauf, ahnungslose Abhängige kauften ihnen den Stoff ab.

Das änderte sich, als der amerikanische Chemiker Steve Preisler auf eine seltsame Idee kam: Der, gelinde gesagt, exzentrische Wissenschaftler schrieb in den 1980er Jahren ein Buch mit dem Titel „Secrets of Methamphetamine Manufacture“ und brachte es unter seinem Pseudonym Uncle Fester auf den Markt. Diesen Spitznamen hatte er während seines Studiums bekommen, weil er leidenschaftlich gerne Dinge in die Luft gejagt hatte, was seine Kommilitonen an die Figur Uncle Fester aus der Addams Family erinnert hatte. Preisler wusste, worüber er schrieb, das Werk hielt, was es versprach: Es klärte darüber auf, wie einfach die Herstellung von Crystal war – und zwar äußerst umfangreich. Er stellte ausführlich sechs Methoden vor, wie jeder Mensch in Heimarbeit Crystal kochen konnte. Aufgebaut waren die Anleitungen wie Kochrezepte. Am Anfang stand die Zutatenliste, dann die Erklärung der Produktion. Zwar wurde aus dem Buch kein internationaler Bestseller, doch das darin vermittelte Wissen breitete sich vor allem in den Vereinigten Staaten wie ein Lauffeuer aus. An unzähligen Orten begannen Hobbyköche nun mit der Produktion von Methamphetamin, weil es so einfach und billig war. Der günstige Preis und die verfügbare Menge förderten die Verbreitung von Crystal in Kreisen, die bis dahin schon aus Geldmangel auf Kokain und Heroin verzichtet hatten. Im ganzen Land brannten immer wieder Methamphetamin-Küchen aus oder explodierten, weil die Nachwuchsproduzenten doch Fehler machten.

Abb. 3: Mögliche Darreichungsformen von Crystal Meth

Das Jahr 1968 galt in vielen westlichen Ländern als ein Jahr des Aufbruchs, der Unruhen. In der Tschechoslowakei wollte die Regierung unter Alexander Dubcek den herrschenden Kommunismus etwas menschlicher und freier gestalten. Die Bevölkerung nahm den Prager Frühling überwiegend begeistert auf, doch vor allem die übermächtige Sowjetunion wollte davon nichts wissen. Im August 1968 marschierten die Sowjetunion, Polen, Ungarn und Bulgarien daher mit einer halben Million Soldaten in die Tschechoslowakei ein und besetzten das Land. 98 Tschechen und Slowaken kamen dabei ums Leben, 50 Soldaten fielen. Das hatte zur Folge, dass alle Reformbemühungen gestoppt wurden. Die Bürger sahen sich um eine große Chance gebracht und wagten jetzt kaum noch öffentliche Meinungsäußerungen. Die Menschen fielen in eine regelrechte Depression.

Dieser kurze Exkurs soll verdeutlichen, warum gerade Tschechien zum europäischen Ursprungsland des modernen Crystal Meth wurde. Mancher sah die Flucht in Drogen als einzigen Ausweg aus einem immer unerträglicher werdenden Alltag. Einige Menschen versuchten immer wieder auf unterschiedlichen Wegen, betäubende oder zumindest vorübergehend glücklich machende Substanzen zu kreieren. Einer von ihnen war der Tscheche Pavel Gregor – und er kam in den 70er Jahren auf die Idee, es einmal mit dem Stoff zu versuchen, der Jahrzehnte zuvor junge Soldaten im Krieg angespornt hatte. Gregor gilt heute als Vater oder Wiederentdecker des Pervitin in Tschechien. Dass er damit auch eine Modedroge erschuf, das war jedoch nie seine Absicht. Er hat den Verkauf von Pervitin nie als Geschäft gesehen und die Droge nur für den Verbrauch in seiner Clique hergestellt; dass sich die Drogenkocherei so verbreitete, konnte er nicht ahnen.

Viele Jahre wurde es in Tschechien von der offiziellen Seite toleriert, geringe Mengen Drogen für den Eigenbedarf zu besitzen. Der Haken an der Sache: Die Größe der tolerierten Drogenration war nicht genau definiert. Die Unsicherheit führte schließlich dazu, dass am 01. Januar 2010 eine neue gesetzliche Regelung geschaffen wurde, in welcher diese Menge exakt geregelt war. Das neue Gesetz ließ bei Drogenliebhabern die Freudentränen kullern, während Politiker im Ausland die Hände über dem Kopf zusammenschlugen. Denn die neuen Regeln stellten selbst die als äußerst liberal in Sachen Drogen geltenden Niederlande in den Schatten.

Seit 2010 gilt es in Tschechien nur noch als Ordnungswidrigkeit, wenn jemand Cannabis raucht, bis zu 15 Gramm Marihuana besitzt oder auch bis zu fünf Hanfpflanzen pflegt. Ebenfalls möglich, ohne dass harsche Strafen drohen: Der Besitz von 1 Gramm Kokain, 1,5 Gramm Heroin, 4 Ecstasy-Pillen, 5 Einheiten LSD, 2 Gramm Amphetamine oder auch 2 Gramm Methamphetamin. Geht man davon aus, dass ein meist unvorsichtiger Erstkonsument mit einer Dosis von 70 bis 100 Milligramm Crystal beginnt, dann bedeuten 2 Gramm Methamphetamin nicht weniger als ein 20-tägiges Dauer-High.

Politiker und Fachleute in Deutschland und dem ebenfalls an Tschechien grenzenden Österreich befürchteten daraufhin schon, dass der Drogenschmuggel ganz neue Ausmaße annehmen würde, da ja auch schon 2007 die Grenzkontrollen weggefallen waren. Wie recht sie damit allerdings wirklich behalten sollten, ahnten sie damals wohl selbst noch nicht.

Man geht davon aus, dass in Tschechien pro Jahr um die 7 Tonnen Methamphetamin produziert werden. Doch heute ist Tschechien nicht mehr die einzige große Quelle für Crystal, das Problem hat sich auch international weiter ausgebreitet. Afrika hat sich zu einem beachtlichen Mitspieler bei Produktion und Handel entwickelt. Aus Nigeria wird versucht, via Deutschland Stoff nach Asien, insbesondere nach Malaysia und auf die Philippinen zu schmuggeln.

Zwischen 2008 und 2010 kamen die Vietnamesenmärkte in Tschechien auf. Daraufhin kochten/produzierten immer weniger ihr Crystal selbst. Die Leute bekommen auf den Märkten alles, was sie wollen, in den Mengen, die sie wollen. Heute gibt es dort immer noch „Wahnsinnsqualität“ – ein Reinheitsgrad von 90 und mehr Prozent – zu Dumpingpreisen. Die Ware wird also nicht gestreckt und trotzdem noch sehr billig gehandelt: Der Einkaufspreis liegt bei etwa 15 €, während sie dann auf der anderen Seite der Grenze mit einem Gewinn von 300 % und mehr verkauft wird.

Die Zahl derer, die erstmals Crystal probierten, stieg in Deutschland laut Bundeskriminalamt und der Drogenbeauftragten binnen eines Jahres um 51 %, Tendenz steigend. Damit hat Crystal bei den Einsteigern Heroin als beliebteste harte Droge schon längst abgedrängt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs – längst nicht jeder wird erwischt und gerät so in die Statistik, die Dunkelziffer ist auch nicht zu unterschätzen.

Bereits 2006 meldeten sich die Vereinten Nationen zum Thema zu Wort: Laut dem UN-Welt-Drogenbericht war Crystal schon damals die meistgenutzte harte Droge der Welt. Die Zahl von insgesamt 26 Millionen Abhängigen entspreche der addierten Summe aller Kokain- und Heroinnutzer, hieß es.

Im Jahr 2011 verkündete das National Institute on Drug Abuse in Maryland, dass nach letzten Erhebungen rund 13 Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten mindestens einmal in ihrem Leben Crystal genommen hatten. Zwei Drittel aller Drogeneinsteiger fangen sogar mit Crystal an und werden damit in die Sucht getrieben. Wer einmal Crystal konsumiert hat, der kann mit den normalen Amphetaminen nichts mehr anfangen. Es wirkt nicht mehr so, wie es soll. Selbst wenn bei vielen Langzeitabhängigen noch „alte“ Drogen wie Heroin an erster Stelle stehen – der „Nachwuchs“ setzt auf Speed oder Crystal. Alleine aus diesem Grund erscheint eine weitere Ausbreitung unvermeidbar. Erschreckend ist außerdem, dass der Altersdurchschnitt bei den erstauffälligen Crystal-Konsumenten am niedrigsten ist, verglichen mit anderen Drogen.

In Deutschland ist Methamphetamin laut Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und der 21. Betäubungsmittelrechts-Änderungsverordnung vom 18. Februar 2008 ein verkehrsfähiges (da der Stoff als Ausgangsstoff für die Arzneimittelherstellung dient und daher verkehrsfähig bleiben soll), aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel, jeglicher Besitz ohne Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bundesopiumstelle) ist somit strafbar. Die Umstufung in „nicht verschreibungsfähig“ wurde mit dem immer weiter zunehmenden Missbrauch von Methamphetamin begründet.

Denn auch im Sport ist Methamphetamin beliebt. Der deutsche Boxer Jupp Elze hatte sich 1968 vor seinem Kampf um die Europameisterschaft gegen Juan Carlos Duran mit Pervitin aufgeputscht und ging als erster deutscher Profisportler in die Geschichte ein, der an den Folgen von Doping starb. Elze hatte nahezu 150 Kopftreffer erlitten, die er vermutlich nur wegen des durch Pervitin herabgesetzten Schmerzempfindens aushalten konnte, fiel ins Koma und starb an einer Gehirnblutung. Auch etlichen Prominenten wie beispielsweise John F. Kennedy oder Marilyn Monroe wird nachgesagt, dass sie angeblich Methamphetamin konsumiert haben sollen.

Höher, schneller, tiefer. Crystal raubt ihren Abhängigen ihr äußeres Erscheinungsbild und den klaren Kopf. Die Haut wird aschfahl, die Wangen fallen ein, Pickel und eitrige Geschwüre übersäen das Gesicht, die Haare werden strohig, die Zähne fallen aus. Aber auch im Inneren des Körpers hinterlässt der Wirkstoff seine Spuren. Er schädigt Nervenzellen im Gehirn, Abhängige leiden unter Paranoia und können tagelang nicht schlafen. Sie verspüren keinen Hunger mehr, keinen Durst und keine Schmerzen. Sie verlieren Gewicht und Zeitgefühl. Und sie werden aggressiv. Weitere Folgen reichen von einem krankhaften sexuellen Verhalten bis hin zu kardiovaskulären Problemen.

Fortsetzung folgt.

Literatur

1. Leslie Iversen: Drogen und Medikamente, Geschichte, Herstellung, Wirkung; Philipp Reclam jun., Stuttgart, 2004

2. Dr. Roland Härtel-Petri, Heiko Haupt: Crystal Meth, wie eine Droge unser Land überschwemmt; Riva Verlag, München, 1. Auflage 2014

3. Wikipedia.de

4. Der Film „Spun“ von 2002

5. fludder.de/artikel/2007/10/16/wie-wirken-drogen-im-gehirn/

6. www.bing.com/images/search

7. www.stern.de/wissen/mensch/crystal-meth

8. mindzone.info/drogen/crystal

9. www.rp-online.de/leben/gesundheit/psychologie/crystal-meth-die-gefaehrlichen-drogen-der-workaholics

10. Claus Kroehling: Immunhistochemische Untersuchung der cerebrovaskulären Basallamina mit Collagen Typ IV an Gehirnen von Drogentoten, Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München, 2007

11. drugscouts.de/de/page/nachweiszeiten

12. www.dräger.com

13. Ernst Speer: Das Pervitinproblem, in: Deutsches Ärzteblatt 71 (1941), Seite 4–6 und Seite 15–129, zitiert nach: Jens Alexander Steinat: „Ernst Speer (1889 bis 1964), Leben- Werk- Wirkung“, tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2005/1558pdf/Arbeit_komplett_Speer_mitIV.pdf; Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität, Tübingen 2004

14. A. Ulrich: Hitler’s Drugged Soldiers, www.spiegel.de/international/0,1518,354606,00.html, Spiegel Online International, 6. Mai 2005

15. Der Spiegel: Hitler an der Nadel, www.spiegel.de/spiegel/print/d-14324358.html, 7/1980, Seite 85–87

16. El-Bitar Sönke: Geschichte im Ersten: Die Wunderpille der Wehrmacht, www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/rb/geschichte-im-ersten-die-wunderpille-der-wehrmacht-100.html, Dokumentarfilm, Das Erste, Radio Bremen, 11.08.2014

17. E. Eggers: Mit der Kraft der Panzerschokolade, www.tagesspiegel.de/sport/mit-der-kraft-der-panzerschokolade/779268.html, Der Tagesspiegel, 26. November 200618. Hans-Christian Dany: Speed: Eine Gesellschaft auf Droge, Edition Nautilus, Hamburg 2008

Die Autorin:
Laura Isabel Koch, leitende MTA für Funktionsdiagnostik
Neurologische Klinik Wetzlar, Lahn-Dill-Kliniken GmbH
Forsthausstraße 1–3
35578 Wetzlar
E-Mail: mtaf.woelfersheim@gmail.com

Entnommen aus MTA Dialog 12/2015

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