Digitalforum Gesundheit

Fokus auf wichtige Facetten der künftigen digitalen Versorgung
Mirjam Bauer
Blick in das Plenum des Digitalforums Gesundheit
© M. Bauer
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Bereits zum vierten Mal veranstaltete der Verein Gesundheitsstadt Berlin das „Digitalforum Gesundheit“ in der Hauptstadt. In diesem Jahr kamen über 200 Expertinnen und Experten aus Krankenhäusern, Universitäten und der Industrie in den Design Offices Berlin-Humboldthafen zusammen.

In ihrer Begrüßung thematisierte Dr. med. Iris Hauth, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die drängenden Herausforderungen der Gesundheitsversorgung wie Ambulantisierung, Fachkräftemangel und Lieferengpässe. Die Vorstandsvorsitzende der Gesundheitsstadt Berlin hoffte darauf, dass alle Beteiligten gemeinsam die Balance zwischen Datenschutz und Transparenz finden – zum Wohl der Patientinnen und Patienten. Um diese Herausforderungen auch digital abzubilden, seien einheitliche Standards und Schnittstellen essenziell. Hier setzte auch Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck mit seiner Keynote „Quantensprung für die digitale Versorgung“ an. Er plädierte für mehr ambulante Anlaufstellen zur Vernetzung von (Fach-)Ärzten, Kliniken und Reha-Einrichtungen, damit die Versorgung auch in Zukunft sowohl analog als auch digital gesichert sei. Aktuell gebe es weder offene Schnittstellen noch interoperable Daten. Die Politik sollte die Softwareanbieter gesetzlich dazu verpflichten, eine Datenarchitektur mit standardisierten Schnittstellen aufzubauen.

Podium „Evolution oder Revolution“

In der Podiumsdiskussion „Evolution oder Revolution“ diskutierten Rudolf Dück, CIO des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Heiko Hauptmann, CIO der BG-Kliniken und Geschäftsführer der BG-Kliniken IT Services, Markus Holzbrecher-Morys, Geschäftsbereichsleiter Digitalisierung & E-Health bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Berlin, sowie Dr. Michael von Wagner, ärztlicher Leiter und CMIO am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. In Frankfurt brachte im November 2023 ein Hackerangriff den Betrieb der digitalen Strukturen zum Erliegen. So erläuterte von Wagner: „Unser Krisenmanagement war hier sehr gefragt. Der Angriff hatte keine Auswirkungen auf die Versorgung, diese lief intern weiter, wir waren nur nach außen hin abgekapselt. An vielen administrativen Stellen war der Betrieb jedoch eingeschränkt. So brauchen wir aktuell immer noch neue E-Mail-Adressen. Insgesamt war der Benefit der digitalen Lösungen deutlich spürbar, vor allem, wenn diese fehlten …“ Unser Interview zur Cybersecurity mit von Wagner und Holzbrecher-Morys, welches wir auf dem Forum durchgeführt haben, finden Sie hier.

Heiko Hauptmann betonte, Ausfallkonzepte seien besonders wichtig, weil etwa Telefonnummern, Ansprechpartner und weitere Listen zumeist nur digital vorlägen – diese müssten auch analog verfügbar sein. Laut Beobachtungen der DKG gebe es in Deutschland bisher nicht besonders viele Angriffe, so Holzbrecher-Morys. Da sich die Kliniken seit Jahren auf die veränderten gesetzlichen Vorgaben im Bereich Cybersecurity und kritische Infrastrukturen einstellten, sei die Vorbereitung häufig gut, und zwar in allen Häusern, nicht nur in den Großkliniken: „Wir unterstützen die Häuser dabei seit 2015 mit unseren Vorgaben zu branchenspezifischen Sicherheitsstandards, viele Punkte wie Mehrfach-Authentifizierung et cetera sind bereits umgesetzt.“

 

Das Panel diskutierte ferner über das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), das sich noch in der Umsetzung befindet und im Sommer evaluiert wird. Mithilfe dieser Geldmittel sollte die digitale Infrastruktur in den Kliniken verbessert werden. Diese wichtige Finanzierung begrüßten alle Beteiligten. Allerdings hätten die Krankenhäuser aktuell oft andere Sorgen als IT, bei vielen ginge es zurzeit um den reinen Erhalt, einige Kliniken seien bereits insolvent. „Zudem fehlt eine übergeordnete Strategie, damit Prozesse flächendeckend digitalisiert werden können“, erklärte Rudolf Dück. Er bezeichnete sich eher als einen Revolutionär, vor allem im Denken, und glaubt, durch Revolution könne die Zukunft gestaltet werden, da es sonst viel zu lange dauere. Man müsse zuerst die Prozesse definieren und die Digitalisierung als Ganzes begreifen. Die Umsetzung könne dann evolutionär erfolgen. Hier entgegnete von Wagner, die Menschen im Gesundheitssystem zu halten, wäre nicht revolutionär machbar. Eher solle man gemeinsame Pfade nutzen und die Mehrwerte aus gematik und Politik annehmen. Laut Holzbrecher-Morys komme die Revolution bestimmt, allerdings von außen, denn das deutsche Gesundheitssystem sei allein zu träge. So müsse man die richtige Balance finden, da es Revoluzzer und Evolutionäre gebe. Einig waren sich alle darin, weiterhin über den Tellerrand auf digitale Lösungen in anderen Ländern wie Israel und Dänemark zu schauen, allerdings seien staatliche Systeme nicht unbedingt vergleichbar. Als Ideengeber und Input, von dem man lernen kann, gelten die europäischen Nachbarn auf jeden Fall.

Neun Foren zum Austausch über spezielle Themen

In anschließend neun Foren wurden weitere Herausforderungen des digitalen Gesundheitswesens fokussiert. So vermittelte Daniela Auffermann, CDO der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln, im Forum „Digitalisierung im stationären Alltag: Alles fertig oder was?“, wie sie sich insbesondere auf den Faktor Mensch bezieht, um erfolgreich zu transformieren. Erfolgsfaktoren seien dabei immer wieder die Fokussierung auf die Lösung statt auf das Problem – und dazu viel positive Kommunikation, Moderation und Vermittlung. Heiko Mania, Geschäftsführer der NursIT, erklärte die Notwendigkeit und Möglichkeiten der digitalen Pflegedokumentation anhand von smarten Hilfsmitteln.

Im Forum drei ging es um KI-gestützte klinische Entscheidungsunterstützungssysteme und die Balance zwischen innovativer Forschung und praktischer Umsetzung. Ein Beispiel aus Dänemark zeigte den Einsatz von KI in der Brustkrebsanalytik in der Radiologie, nachdem es lange Zeit weder wissenschaftliche Evidenz noch klinischen Impact dafür gab. Eine erste Studie mit 80.000 Frauen konnte nach einem Jahr eine positive Interimsanalyse hervorbringen, vermittelte Christian Hardahl, EMEA Healthcare Leader vom Großkrankenhaus Aarhus.

Auch im Forum fünf „Moderne KI-Anwendungen für deutsche Kliniken“ stellten Dr. Andre Sander, Dr. Lara Ehrenhofer und Christin Müller von der Firma ID Berlin die Mehrwerte von künstlicher Intelligenz und strukturierten Daten vor, immer unter der Voraussetzung, dass die Datensicherheit gegeben sei. Ihre semantischen Lösungen setzten mit „Big Data“ datengetrieben die Bedürfnisse der User an die erste Stelle und sorgten mit „Small Data“ über Erklärbarkeit und Expertenwissen am Ende für optimale Ergebnisse.

Im Forum sechs „Digital dank Patientenportal“ stand die Vernetzung im Vordergrund. Dabei kam die Frage auf, ob Plattformen überregional oder regional, also nur in bestimmten Bundesländern, besser seien. Darauf gab es keine eindeutige Antwort, doch einig waren sich die Referenten darüber, dass alle Portale standardisiert und interoperabel sein müssen.

Andreas Kumbroch, März AG, stellte im Forum acht die Datenplattform „Smart Green Hospital“ vor, die sie gemeinsam mit dem Unternehmen HPE entwickelt haben. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus medizinischen, energetischen und beliebigen weiteren Daten, um das Energiesparen in den Abteilungen zu verankern. So wurden bestehende Komponenten der Interoperabilitätsplattform Health-Suite mit Produkten von HPE verbunden, um Daten standardisiert und regelbasiert in Echtzeit darzustellen. Im Sommer soll das Programm routinemäßig in zwei Kliniken laufen, bisher befinden sich Anwendungsfälle wie der radiologische Leitstand (zur MRT-Auslastung), der IT-Leitstand zur Überwachung des Energieverbrauchs der IT-Anlagen und ein Küchenleitstand in der Implementierung.

Forum neun thematisierte mit „Digital kompetent; ambulant & stationär besser versorgt“ verschiedene Modellregionen, etwa ein regionales Living Lab in Baden-Württemberg und weitere Zukunftsprojekte. Oft handelt es sich dabei bislang nur um Reden über Visionen; die Umsetzungen sind noch bruchstückhaft.

Award-Verleihung für Start-ups

Umgesetzt und ausgezeichnet wurden „drei beste digitale Lösungen aus den Bundesländern“ von Ursula Nonnemacher, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Brandenburg. Die drei Siegerprojekte wurden von einer hochrangigen Jury unter mehr als 20 Bewerbungen ausgewählt. Dabei handelte es sich um innovative, wertvolle und erlebbare Digitalisierungsvorhaben aus Kliniken, aus der nicht stationären ärztlichen und pflegerischen Versorgung sowie regionale Versorgungsinnovationen.

Der Award würdigt die herausragenden Leistungen und die transformative Wirkung der Digitalisierung auf das Gesundheitswesen. Ausführlich vorgestellt werden die Preisträger und weitere innovative Projekte und Plattformen in einer neu erschienenen Trendstudie des Vereins Gesundheitsstadt Berlin. Die Studie mit dem Titel „Digitale Lösungen aus den Bundesländern – Antworten auf den demografischen Wandel und den Ärztemangel im ländlichen Raum“ wurde mit Unterstützung der PVS Holding und des Bundesverbands Verrechnungsstellen Gesundheit e.V. entwickelt. „In der Studie zeigen wir eine Auswahl der besten digitalen Lösungen aus den Bundesländern, die bereits eine bedarfsgerechte, personalisierte, digitalisierte und sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung ermöglichen. Das Potenzial zeigt: ‚Digitale Medizin Made in Germany‘ kann zum Erfolgsmodell werden“, erklärte Dr. Daniel Dettling, Geschäftsführer der Gesundheitsstadt Berlin GmbH. Die mehr als 50 Seiten umfassende Studie ist als PDF erhältlich.

Die Preisträger

Recovery Cat aus Berlin ist eine digitale Therapiebegleitung zur gemeinsamen Entwicklung individueller Behandlungswege für Patientinnen und Patienten sowie Behandlerinnen und Behandler. In nur wenigen Minuten wird eine Erhebung des Therapieverlaufs der Erkrankten und Behandelnden passgenau auf Therapieziele, Ressourcen und Medikation abgestimmt – mithilfe einer Software. Tägliche Check-ins über Symptome, Nebenwirkungen, Ressourcen und Medikamente unterstützen dabei, den Therapieverlauf besser zu erfassen. Visualisierungen der Symptomverläufe helfen, den Behandlungsverlauf zu verstehen und frühzeitig auf Krisen zu reagieren. Eine technische Plattform ermöglicht die Arzt-Patienten-Interaktion datenschutzkonform auf innovative Weise mittels eines digitalen Handshakes (via QR-Code). So entsteht eine bisher nicht dagewesene Schnittstelle für eine digitale Interaktion während der Behandlung. Der Launch erfolgte im Mai 2023 – nach einer Machbarkeitsstudie im Jahr 2022, die bei Patientinnen und Patienten mit bipolar affektiver Störung, paranoider Schizophrenie sowie bei rezidivierender Depression Hinweise für eine Verminderung der Symptome und eine Verbesserung der Lebensqualität zeigte.

 

Ebenfalls aus Berlin kommt x-cardiac, ein Spin-off des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZC) und der Charité. Mit einem Fokus auf die Verbesserung der Behandlungsqualität und -sicherheit nach Herz- oder Gefäßoperationen kann die x-cardiac-platform auf Basis longitudinaler Patientendaten postoperative Komplikationen vorhersagen. Im Gegensatz zum aktuellen reaktiven Ansatz auf Intensivstationen, bei dem erst bei eindeutigen Anzeichen einer Komplikation (wie Nachblutungen) eingegriffen wird, kann x-cardiac eine frühere Intervention ermöglichen. Während andere KI-basierte Lösungen sich auf bildgebende Verfahren wie MRT- oder Röntgenbildanalysen konzentrieren, nutzt das Start-up routinemäßig erhobene Daten von Intensivstationen. Dieser innovative Ansatz bietet somit eine völlig neue Perspektive im Management postoperativer Patientenversorgung. Die Produkte haben sich erfolgreich im klinischen Alltag etabliert. Durch die potenzielle Verringerung der Dauer von Intensivaufenthalten nach Herzoperationen könnten unter anderem Kosten eingespart werden. Ein kürzerer Aufenthalt auf der Intensivstation könnte nicht nur die finanzielle Belastung für Kliniken reduzieren, sondern bietet auch für Patientinnen und Patienten große Vorteile.

Das Projekt „GeRas: Geriatrische Rehabilitationserfolge nachhaltig sichern“ stammt aus Baden-Württemberg. Es ist ein durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördertes Modellprojekt und erprobt seit Oktober 2023 die transsektorale Nachsorge von Patientinnen und Patienten nach Entlassung aus der stationären geriatrischen Rehabilitation. In GeRas wird erstmals ein mehrdimensionales, sektorenübergreifendes zwölfwöchiges Nachsorgeprogramm im Anschluss an eine stationäre geriatrische Rehabilitation angeboten. Dabei wird zum einen der Übergang in den ambulanten Sektor begleitet, zum anderen werden rehabilitative Elemente in den Alltag übertragen. Unterstützt wird dies durch den Einsatz einer telemedizinischen Plattform, die den beteiligten Kliniken eine dezentrale Infrastruktur zur Verfügung stellt. In der dreiarmigen Studie wird Patientinnen und Patienten der Interventionsgruppe ein Tablet inklusive SIM-Karte zum Eigentraining zur Verfügung gestellt. Die telemedizinische Lösung ermöglicht die Erstellung individueller Trainingspläne, die auf das Tablet übermittelt werden. Nach einer Einweisung und Installation vor Ort erfolgt die Betreuung der Patientinnen und Patienten durch Videotelefonate. Aus den Kliniken heraus sowie über die beteiligten Bezirksdirektionen der AOK Baden-Württemberg können Nachrichten an die Patienten gesendet und Trainingspläne fortlaufend angepasst werden. Die Plattform ermöglicht einen Informationsaustausch zwischen den Kliniken und der AOK Baden-Württemberg sowie multidisziplinäre, transsektorale Videofallkonferenzen.

 

Entnommen aus MT im Dialog 4/2024

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