Bei der vorliegenden historischen Monografie handelt es sich um den ersten Versuch, eine eigene Seuchengeschichte der Schweiz zu schreiben. Da die verschiedenen Infektionskrankheiten in der Schweizer Medizingeschichte höchst unterschiedlich behandelt wurden und eigene Quellenstudien nur in einem sehr begrenzten Rahmen möglich waren, handelt es sich beim vorliegenden Werk um eine Einführung. Es ist mit dem nun vorliegenden Buch der Versuch gemacht, eine Seuchengeschichte von über einem halben Jahrtausend zu schreiben, denn ein Gesamtüberblick über die wichtigsten Seuchen in der Schweiz ist bisher noch nie versucht worden. Die wissenschaftliche Behandlung der einzelnen Seuchen zeigt sich auf höchst unterschiedlichem Niveau und es existiert bis heute nicht einmal eine wissenschaftliche Sammlung wichtiger Schlüsseldokumente zur Geschichte einzelner Infektionskrankheiten, so moniert der Autor die Situation in der Schweiz. Schwierig ist auch die Quantifizierung: Wie hoch war der Tribut, den Infektionskrankheiten in der Schweiz forderten? Es fehlen bis weit ins 20. Jahrhundert exakte Zahlen. Die erste Volkszählung in der Schweiz fand nach dem Einmarsch französischer Truppen, in der Epoche der Helvetik (1798–1803), statt. Doch auch bei der Spanischen Grippe (1918) blieb das genaue Ausmaß der Infektionserkrankung in der Schweiz unklar, denn eine Meldepflicht wurde erst am 11. Oktober 1918 eingeführt. Mehr noch: Den Fachleuten war auch unklar, womit sie es zu tun hatten. Dem Autor, Dr. Daniel Furrer (DFU), Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Zürich und an der Pädagogischen Hochschule in Zürich, ist es mit seiner Monografie im Besonderen gelungen, dem interessierten Leser die historischen Seuchen, die in den letzten 500 Jahren in der Schweiz grassierten und verheerende Auswirkungen hatten, in einem sehr verständlichen Schreibstil, zu verdeutlichen. In den über 250 Seiten sind zehn der häufigsten kontagiösen Infektionskrankheiten wie Pest, der Schwarze Tod, Lepra, Typhus, Ruhr, Cholera, Pocken, Tuberkulose sowie die unterschiedlichen Geschlechtskrankheiten von Gonorrhö, Syphilis bis hin zur modernen Seuche Aids, Influenza beziehungsweise die Spanische Grippe und last, but not least die Malaria und Diphtherie beschrieben.
Der Autor trifft mit seiner Abhandlung den Nerv der Zeit: Epidemien wie Tuberkulose, Pest, Cholera und Gelbfieber breiten sich wieder aus. Das geht aus einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervor. Eine Vielzahl neuer Seuchenerreger sind in den vergangenen Jahren bekannt geworden. Hauptursachen für den Anstieg der Infektionsgefahr sind nach Ansicht der WHO die Überbevölkerung, der Mangel an ausreichender Ernährung und besonders an Wasser und Hygiene in vielen Teilen der Welt, fehlende Gesundheitsprogramme sowie die wachsende Reiselust. Von den neuen Infektionen seien Industrienationen und Länder der Dritten Welt gleichermaßen bedroht. Viele der neuen Gefahren werden durch die zunehmende Globalisierung und den Klimawandel begünstigt. Der Autor proklamiert eindringlich im Abschluss seines Werkes, dass gemeingefährliche Infektionskrankheiten auch in Zukunft die Menschheitsgeschichte prägen werden, so wie sie es seit Jahrtausenden getan haben; eine Welt ohne Infektionskrankheiten ist eine Utopie. Welche Dimensionen kontagiöse Infektionen verursachen, wird in der aktuellen Pandemie evident: Sie treffen ganze Gesellschaften, schüren kollektive Ängste und verschärfen soziale Spannungen. Die aktuelle COVID-19- beziehungsweise SARS-CoV-2-Pandemie wurde nicht thematisiert, da es noch zu früh ist, sie abschließend in all ihren Facetten auszuwerten. In summa: Dem interessierten Leser werden die unterschiedlichsten „Seuchen“, die in den letzten 500 Jahren in der Schweiz grassierten, mit all ihren katastrophalen Folgen, als spannende Lektüre aufgezeigt.
Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr: Die Geschichte der Seuchen in der Schweiz.
Von: Daniel Furrer, NZZ Libro ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe, 2022, ISBN: 978–3907291665, Preis: 34 Euro
Entnommen aus MTA Dialog 10/2022
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