Der Neurologe und Politiker António Egas Moniz (1874–1955)

Zerebrale Angiografie und Leukotomie, Nobelpreis 1949
Christof Goddemeier
Porträt von António Egas Moniz auf einer portugiesischen Briefmarke
Briefmarke zu Ehren von Egas Moniz © laufer/stock.adobe.com
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António Egas Moniz gehört sicher zu den schillernden Persönlichkeiten der Medizingeschichte. Den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt er – gemeinsam mit dem Schweizer Physiologen Walter Rudolf Hess – „für die Entdeckung des therapeutischen Wertes der präfrontalen Leukotomie bei gewissen Psychosen“.

Die von ihm initiierten und durchgeführten psychochirurgischen Eingriffe sind bis heute umstritten. Manche sind deshalb der Meinung, der Nobelpreis sollte ihm aberkannt werden. Der Name Egas Moniz ist weltweit mit diesen beiden wissenschaftlichen Entwicklungen verbunden: Die zerebrale Angiografie hat neben Computertomografie und Magnetresonanztomografie auch nach mehr als 90 Jahren noch eine gewisse diagnostische Bedeutung. Demgegenüber findet die Leukotomie, das erste psychochirurgische Verfahren, heute keine Anwendung mehr. Auch wenn man nach der ersten Anwendung an 20 Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen nicht von einem sicheren Erfolg der Intervention sprechen konnte, interessierten sich viele Länder für das Verfahren und entwickelten es weiter. In den Jahren nach 1936 wurden mehrere Tausend Patienten psychochirurgisch behandelt.

Studium der Medizin in Coimbra

António Egas Moniz wurde 1874 als drittes von vier Kindern in Avanca geboren, einem kleinen Ort im Norden Portugals. Die Familie hatte Gutsbesitz und zwei große Häuser. Dennoch kämpfte sie immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten. Um sie zu begleichen, brach der Vater 1887 nach Mosambik auf, damals portugiesische Kolonie, wo er drei Jahre später starb. Auch die drei Geschwister starben früh, der älteste Bruder ebenfalls in Afrika. Ab dem fünften Lebensjahr wuchs Moniz bei seinem Onkel auf, der im Nachbarort Abt war. In seinen Erinnerungen „A nossa casa“ (1950) schrieb er: „Ich bin sicher, daß (sic!) seine Ermahnungen meine Geisteshaltung tief geprägt haben (…) und daran mitwirkten, die Erfolge, die ich im Leben hatte, zu erreichen (...).“ Nach Abschluss der Schule studierte Moniz ab 1891 in Coimbra Medizin. Portugal war seit 1834 konstitutionelle Monarchie und hatte in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts zunehmende Schwierigkeiten, den Staatshaushalt aufrechtzuerhalten. Verschiedene Gruppen protestierten gegen die Monarchie und Moniz verfasste politische Pamphlete. Dabei gehörte er zu den moderaten Anhängern der Republik. Mit 25 Jahren schloss er das Studium ab. Seine Dissertation „Das Sexualleben – Physiologie“ und die Habilitationsschrift „Das Sexualleben – Pathologie“ erschienen bis 1933 in 19 Auflagen. Moniz’ Biograf Joao Lobo Antunes nannte das Thema „revolutionär“ und „gewagt“ (2000). Der Verkauf wurde offiziell verboten, doch Moniz habe durchsetzen können, dass das Buch auf „Rezept“ verschrieben werden durfte. 1901 heiratete Moniz Dona Elvira de Macedo Diaz. Die Ehe blieb kinderlos. Ab dem folgenden Jahr lehrte er an der Universität Coimbra Anatomie, Histologie und Allgemeine Pathologie. In Bordeaux und Paris bildete er sich in Neurologie weiter. Hier gelangte er zur Überzeugung, dass Geisteskrankheiten organisch bedingt seien, eine wesentliche Voraussetzung für seine spätere operative Behandlungsmethode. In Paris arbeitete Moniz mit dem Radiologen Jean-Athanase Sicard zusammen, der ihn später anregte, seine Forschungen zur zerebralen Arteriografie zu beginnen.

Moniz’ politische Seite

Seit 1900 war Moniz Mitglied des portugiesischen Parlaments. Im Zusammenhang mit Umsturzversuchen gegen den Diktator Joao Franco wurde er 1908 inhaftiert, kehrte aber kurz danach wieder ins Parlament zurück. 1910 wurde Portugal Republik, und Moniz wurde Professor für Neurologie an der Universität Lissabon. Unter der Präsidentschaft von Sidonio Pais war er Abgeordneter der National-Republikanischen Partei. 1918 vertrat er Portugal als Botschafter in Spanien, 1918–19 war er Außenminister. Bei den Friedensverhandlungen von Versailles 1919 leitete er die portugiesische Delegation. Im gleichen Jahr fiel Pais einem Attentat zum Opfer. Von der nachfolgenden Regierung wurde Moniz aus seinem Amt entlassen. Darauf trat er als Außenminister zurück und widmete sich nun ganz der Medizin.

Von intrakraniellen Tumoren ist in der medizinischen Literatur bereits seit Jahrhunderten die Rede. Doch eine Lokalisation war erst mithilfe der Röntgenstrahlen möglich. Der Einsatz von Kontrastmitteln brachte dann den entscheidenden Wandel. Erste Versuche unternahm der US-amerikanische Neurochirurg Walter Dandy 1918: Er injizierte Luft, andere Gase und Substanzen wie Lipiodol als Kontrastmittel in das Ventrikelsystem des Gehirns. Auch Sicard setzte Lipiodol als Kontrastmittel bei der Myelo- und Ventrikulografie ein. Doch für arterielle Untersuchungen war die Substanz nicht geeignet, weil sie kapillare Embolien verursacht. Man musste also eine Substanz in wässriger Lösung finden – eine Strontium- und Lithiumbromidlösung wies letztlich die erforderlichen Eigenschaften auf. Mit seinem Mitarbeiter Pedro de Almeide Lima begann Moniz 1925 seine Untersuchungen. 1940 schrieb er: „Die unserer Arbeit zur Erlangung der zerebralen Arteriografie zugrunde gelegte Leitidee war folgende: Nachdem das normale Schema der Anordnung der Gehirnarterien (…) festgestellt worden war, hielten wir es für möglich, in einem größeren Teil der Fälle eine Lokaldiagnose der Geschwülste durch die Veränderung der normalen arteriellen Zeichnung des Gehirns zu stellen. Viele Geschwülste, zumal die stark vascularisierten (sic!), mußten (sic!) auch ein abnormes Gefäßnetz aufweisen.“ Dabei erwies sich die arterielle Injektion des Kontrastmittels gegenüber der venösen Applikation als erfolgreicher. 1926 verfertigten Moniz und Almeide Lima das erste zerebrale Arteriogramm eines Hundes, ein Jahr später gelang ihnen die erste Lokaldiagnose eines Hirntumors bei einer Leiche. Die ersten Versuche am Menschen führten bedauerlicherweise zum Tod eines Patienten – der sechste Patient verstarb einen Tag nach der Untersuchung an einer Thrombose der Arteria carotis, laut Moniz der einzige Todesfall während der Forschungsarbeiten. Moniz entschied sich daraufhin für Jodide anstelle der Bromide als Kontrastmittel. 1927 gelang dann bei einem 20-jährigen Mann mit großem Hypophysentumor die erwünschte Lokaldiagnose. „Endlich war unser Wunsch in Erfüllung gegangen: Die cerebrale Arteriographie war Tatsache geworden“, schrieb Moniz. Weitere folgten, und im gleichen Jahr stellte Moniz seine Ergebnisse der Societé de Neurologie und der Académie de Médicine in Paris vor. Das Kontrastmittel Thorotrast (wässrige Lösung von 25 Prozent kolloidalem Thoriumdioxid) war erstmals eingesetzt worden, um Gefäße der Extremitäten sichtbar zu machen. Auch für die zerebrale Angiografie war es hinsichtlich Verträglichkeit und Schattengebung besser geeignet als alle anderen Kontrastmittel. Mittels verbesserter Technik konnte etwa die Blutströmungsgeschwindigkeit im Gehirn bestimmt werden. 1931 gelangen Moniz die erste gute Arteriografie des Gehirns mit Thorotrast sowie die erste Darstellung von Hirnvenen und -sinus (Phlebografie). In den folgenden Jahrzehnten wurde die Technik immer weiterentwickelt. Leistungsstarke Röntgengeräte, perkutane Katheterisierung und immer besser verträgliche Kontrastmittel führten zu einer breiten Anwendung.

Kritik am damaligen Vorgehen

Aus heutiger Sicht wird kritisch eingewandt, dass Moniz’ Untersuchungen damals eher der Wissenschaft als den Patienten dienten, denn die Indikation habe häufig Krankheitsbilder betroffen, die damals noch nicht sinnvoll therapierbar waren (zum Beispiel Gefäßmalformationen), bereits mit anderen Methoden diagnostiziert worden waren (zum Beispiel ein großer Hypophysentumor) oder bei denen kein pathologischer Gefäßbefund zu erwarten war (zum Beispiel postenzephalitischer Parkinsonismus) (M. Strotzer). Das Mortalitätsrisiko wurde anfangs immerhin mit zwei Prozent angegeben.

Moniz’ psychochirurgische Interventionen finden sich im Kontext anderer somatischer Therapien wie Insulinkomabehandlung (1933), Krampfbehandlung mit Cardiazol (1934) und der Elektrokrampftherapie (1938). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden vermehrt Patienten in psychiatrische Anstalten eingewiesen. Eine wirksame Therapie, etwa durch geeignete Medikation, stand nicht zur Verfügung. In den überbelegten Anstalten und bei ungenügender Hygiene breiteten sich Tuberkulose und andere Infektionskrankheiten aus. Die Literatur beziffert die Mortalität aufgrund dieser Erkrankungen bei Patienten mit bipolarer affektiver Störung nach 15 Jahren in der Anstalt mit 17,7 Prozent, bei Patienten mit Schizophrenie sogar mit 25 Prozent (R. Fortner, Victor Swayze 1995). Die Hoffnung auf eine Therapie, die Heilung oder Besserung versprach, war entsprechend groß.

Operationen unter Moniz’ Anleitung

Bereits zwischen 1888 und 1890 führte Gottlieb Burckhardt, Leiter der schweizerischen Heilanstalt Préfargier, an sechs Patienten die ersten dokumentierten psychochirurgischen Eingriffe durch. Dabei war das Ziel nicht Heilung, sondern Ruhigstellung. Weitere folgten, doch die operative Behandlung psychischer Erkrankungen blieb die Ausnahme. Laut eigenen Angaben dachte Moniz zwei Jahre über die präfrontale Leukotomie nach, bevor er sich 1935 zur Durchführung an 20 Patienten entschloss. Almeide Lima war inzwischen neurochirurgisch ausgebildet und führte die Operationen unter Moniz’ Anleitung durch. Er selbst wäre dazu kaum in der Lage gewesen, denn seine Hände waren infolge jahrzehntelanger Gicht deformiert. Moniz ließ sich internistisch und neurologisch beraten und beauftragte den Psychiater Henrique de Barahona Fernandes, die leukotomierten Patienten zu begutachten. Diese kamen zunächst aus der Nervenklinik Bombarda, die Eingriffe erfolgten in der Klinik Santa Marta. Bei der Leukotomie werden Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontalhirn operativ durchtrennt. Moniz injizierte zunächst Alkohol, um die Läsionen zu setzen, und verwendete dann ein „Leukotom“ (Schneidegerät). Seine Ergebnisse lesen sich vielversprechend; doch von einem Wirksamkeitsnachweis nach wissenschaftlichen Standards kann man nicht sprechen. Dazu war die Patientengruppe zu klein und die angewandte Operationstechnik zu wenig standardisiert. Die Diagnosen der Operierten waren zu heterogen, und die Katamnesen waren kurz und lückenhaft. Zudem erfolgte keine systematische Erhebung des prä- und postoperativen Befundes. Nebenwirkungen traten immer auf, wurden aber als vorübergehend angegeben. In den USA wandten der Psychiater Walter Freeman und der Neurochirurg James Watts die Methode in modifizierter Form an Tausenden Patienten an. Dabei verringerte die Operation offenbar Leidenszustände der Patienten mit therapierefraktären Schizophrenien, Schmerzzuständen und Zwangsstörungen, allerdings um den Preis organisch-psychischer Störungen und von Persönlichkeitsveränderungen. 1939 überlebte Moniz ein Attentat eines seiner Patienten, der ihn mit mehreren Kugeln schwer verletzte. Seitdem saß er im Rollstuhl. Seinen Lebensabend verbrachte er als vielseitig interessierter Schriftsteller und Kunstkritiker und verfasste neben seiner Autobiografie Monografien über Kartenspiel und Hypnose.


Literatur (Auswahl)

1. Adler M, Saupe R: Psychochirurgie. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 1979.

2. Busch U: Egas Moniz (1874–1955). Fortschr Röntgenstr 2014; 186; 715–17.

3. Egas Moniz A: Die cerebrale Arteriographie und Phlebographie. Berlin: Julius Springer Verlag 1940.

4. Fortner R: Egas Moniz (1874–1955) – Leben und Werk unter besonderer Berücksichtigung der Leukotomie und ihrer ethischen Implikationen. Julius-Maximilians-Universität Würzburg 2004, online (letzter Zugriff am 12.6.2023).

5. Schott H, Tölle R: Geschichte der Psychiatrie. München: Verlag C.H. Beck 2006.

6. Strotzer M: Egas Moniz (1874–1955), Leserbrief. Fortschr Röntgenstr 2014; 186; 898.

 

Entnommen aus MT im Dialog 1/2024

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