Diese Gedanken gehen Junds Ich-Erzähler durch den Kopf, als er zu einem Notfall gerufen wird. Eben noch Kaffee und Nussschnecken im Schwesternzimmer, jetzt Not-OP für ein siebenjähriges Mädchen, das heftig aus dem Mund blutet. Jund findet plastische Worte für die Panik, die in dem jungen Arzt aufsteigt – und schildert gleichzeitig auch sein Ringen um eine professionelle Haltung: „Wieso ich? Wieso ich? Wieso ich? Was für ein Riesenscheiß. In solchen Situationen darf die Distanz zur Rolle nicht verrutschen. Ich bin der Arzt. Das kreischende Monster ignorieren. Rationalität“. Wie verwundbar das menschliche Leben ist, schwingt in Junds Buch immer mit – so zum Beispiel auch bei einem Jungen, der beim Klettern von einem Baum gefallen ist und nun viel Blut verliert – bis im Schockraum auf einmal sein Herz stehen bleibt: „Das Wunder des Lebens ist zart. Ein millimeterdickes Blutgefäß in der Nase entschied über Weiterleben, über Schule, Feiern, ans Meer fahren, lernen, abends alleine unter der Decke weinen, Liebeskummer, Vater werden.“ In „Tage in Weiß“ gibt es keine Garantie für ein Happy End: Manche Patienten können die Ärzte retten, andere nicht – genau wie im realen Krankenhausalltag. In episodenhafter Form lässt Jund seine Leser am Arbeitsalltag eines jungen Mediziners teilhaben: Im Zentrum stehen die Szenen, die der Arzt mit seinen Patienten erlebt, und die durch den klaren, oft knappen Stil des Autors eine ungewöhnliche emotionale Wucht entwickeln.
Ein ausführliches Interview mit Rainer Jund finden Sie unter https://www.mta-dialog.de/artikel/auch-ein-arzt-bleibt-immer-patient
Tage in Weiß
Von: Rainer Jund, Piper Verlag GmbH, 2019, 240 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-492-05878-0, Preis: 20,00 Euro.
Entnommen aus MTA Dialog 11/2019
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