Unser Interviewpartner ist Fernando Mendes. Er startete 1994 als Biomedical Scientist, als biomedizinischer Analytiker, seine akademische Laufbahn, die er 2010 mit einem MSc und 2016 mit einem PhD in Health Sciences der Medizinischen Fakultät der Universität von Coimbra abschloss. Er hatte und hat herausragende Rollen in Hochschulen und Fachorganisationen inne; aktuell ist er unter anderem Präsident der European Association for Professionals in Biomedical Science mit circa 250.000 Mitgliedern. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Transfusionsmedizin, „Health literacy“, Zellkultivierung und Krebs.
Herr Mendes, wie wird man MTA in Portugal – und wie ist die tägliche Arbeitserfahrung?
Bei uns heißt diese Berufsgruppe „Biomedical Scientists“. In Portugal durchlaufen biomedizinische Analytiker eine Hochschulausbildung von vier Jahren. Mit 240 ECTS-Punkten – das ist das europäische System zur Anrechnung von Studienleistungen – dürfen sie die offizielle Berufsbezeichnung tragen. In der Pathologie arbeiten sie beispielsweise in allen Laborbereichen. Diagnostische und therapeutische Analytiker leisten ihre Arbeit nach den Maßgaben der jeweiligen Indikation, Vordiagnosen, Diagnosen und im Prozess der Untersuchung beziehungsweise Identifizierung von Erkrankungen. Zu ihren Aufgaben zählen die Konzeption, Planung, Organisation, Umsetzung und Evaluierung von Arbeitsprozessen innerhalb der Breite ihrer Kompetenzen – mit dem Ziel, Gesundheit zu fördern, insbesondere Prävention, Diagnose, Behandlung, Rehabilitation und Reintegration. Weitere Anwendungsgebiete sind Forschungslaboratorien und die Industrie.
Welche Qualifikationen und Nachweise benötigen MTA aus Deutschland, um in Portugal arbeiten zu können?
Der erste Schritt ist die Anerkennung des Ausbildungsansatzes. Erst danach können MTA ihre beruflichen Qualifikationen anerkannt bekommen und in unserem Land tätig werden. Dafür werden benötigt: Eine beglaubigte Kopie des Diploms beziehungsweise Zertifikats der erreichten beruflichen Qualifizierung. Dieses Dokument muss von der zuständigen Behörde des heimischen EU-Mitgliedslandes ausgestellt sein und nachweisen, dass der Bewerber beziehungsweise die Bewerberin die Aufgaben erfüllt hat, die in jenem Land für diesen Beruf formuliert wurden. Dazu Unterlagen der Ausbildungseinrichtung zu besuchten Kursen, Stunden und erreichten Punkten. Vorzulegen sind ferner Identitätsnachweis, Steuerunterlagen und Ähnliches (siehe auch: www.acss.min-saude.pt//2017/04/19/diagnostic-and-therapeutic-technicians/).
Wo sehen Sie Hürden für MTA, die in Portugal arbeiten möchten?
Die zentrale Hürde ist die beschriebene Ausbildung hierzulande – vier Jahre höhere Bildung! Im Kontext der EU-Directive 2005/36/EC haben wir hier ein „General system of recognition“ – primary application at Qualification level: PS3 – Diploma of post-secondary level (3–4 Jahre), Art. 11 d. Für Deutschland hingegen gilt der Level DSE – Diplom (Ausbildung nach dem Gymnasium), inklusive Annex II (ex 92/51, Annex C, D), Art. 11. Die enorme Kluft zwischen der Ausbildung und somit dem Wissen, den Skills und Kompetenzen zwischen portugiesischen biomedizinischen Analytikern und deutschen MTA lässt eine Anerkennung so gut wie unmöglich erscheinen. Daraus ergibt sich auch, dass das Ausbildungsniveau der MTA in Deutschland umgehend angepasst werden sollte. Anzustreben ist ein Ausbildungsniveau laut erstem Bologna-Zyklus – so, wie dies in den meisten EU-Ländern für diesen Beruf der Fall ist.
Gelingt es einem/einer deutschen MTA, unter diesen Umständen Arbeit zu finden – leisten Arbeitgeber in diesen Fällen Unterstützung bei Umsiedlung, Sprachkursen und mehr?
Das fiele in den Verantwortungsbereich des Neuankömmlings – wie auch die Klärung etwaiger Ausgleichszahlungen vor dem Hintergrund der Berufsanerkennung.
Wie wären die Lebensbedingungen?
Die meisten Positionen gibt es in den Städten, und Lebenshaltungskosten sind nicht sonderlich hoch. Biomedizinische Analytiker arbeiten 35 bis 40 Stunden pro Woche; manche Labors sind 24/7 aktiv.
Wo sehen Sie die Bereicherung des MTA-Lebens durch das Arbeiten in Portugal?
Ich denke, insbesondere im Erreichen eines höheren Niveaus bei der beruflichen Entwicklung.
Wie lässt sich die Arbeitskultur beschreiben?
In den Labors arbeiten multidisziplinäre Teams, die die unterschiedlichen Ausbildungen respektieren und teamorientiert agieren. Meist gibt es einen Direktor und Koordinator der biomedizinischen Analytiker. Bedient ein Labor viele verschiedene Gebiete und beschäftigt es viele biomedizinische Analytiker, gibt es auch eine weitere untere Führungsebene darunter.
Welche Optionen gibt es für eine Weiterführung der Ausbildung im Land?
Biomedizinische Analytiker können einen Master und eine Promotion ebenso anstreben wie die Weiterbildung für die praktische Arbeit.
Wie gestaltet sich der Labormarkt in Portugal?
Der Markt teilt sich in Krankenhaus- und privat geführte Labore.
Wie ist die Nachfrage nach biomedizinischen Analytikern, und wie sehen die Karrierepotenziale aus?
SARS-CoV-2 hat zu einem enormen Bedarf geführt. Aber auch generell ist der Labormarkt positiv stabil – mit Optionen für alle Arten von Absolventen.
Mit welchen Geräten arbeitet man in Portugal vorrangig?
Der Gerätepark in Portugal ist sehr modern, und Laborinformationssysteme sind überall im Einsatz – auf gleicher Höhe wie im Rest der EU.
Würden Sie deutschen MTA allgemein vorschlagen, im Ausland zu arbeiten?
Die EU gibt Freizügigkeit vor, die Directive 2005/36/EC soll Ausbildungen harmonisieren … aber die Ausbildungsunterschiede stellen nach wie vor eine hohe Hürde dar!
Wie beschrieben, ist ein Arbeiten in Portugal daher sehr schwierig – auch in anderen Ländern. Ist diese Hürde einmal genommen, so werden Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland hier gern willkommen geheißen. Mit Team Spirit in einem Land mit tollem Klima und schöner Natur.
Worauf sollten MTA mit Umzugsplänen generell ein Augenmerk haben?
Sie sollten sich über die Lebensbedingungen im Zielland informieren, über Berufswege, ihre Weiterentwicklungsmöglichkeiten … und natürlich die Gehälter!
Entnommen aus MTA Dialog 12/2021
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