Vor allem in den Bereichen periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und venöse Verschlusskrankheiten wie die Tiefe Venenthrombose (TVT) gibt es gute Neuigkeiten für die Patienten. Viele der 720 Gefäßspezialisten, die an der Jahrestagung teilnahmen, stellten neueste Studienergebnisse vor. Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Gefäßerkrankungen, allein rund fünf Millionen unter der „Schaufensterkrankheit“, medizinisch periphere arterielle Verschlusskrankheit genannt oder abgekürzt pAVK. Die Lebensqualität der Betroffenen ist oft stark eingeschränkt: Schmerzen und Schwellungen in den Beinen gehören zum Alltag.
Standardtherapien und neue Therapien stärker nutzen
„Patienten mit Gefäßerkrankungen könnte viel besser geholfen werden, wenn Standardtherapien und neue Therapien stärker genutzt würden“, sagt Prof. Dr. Holger Reinecke, Gefäßspezialist der Deutschen Gesellschaft für Angiologie (DGA) in Münster, der die Jahrestagung leitete. Noch zu oft werden Gefäßerkrankungen zu spät erkannt. Mit schlimmen Folgen: Verengungen in den Blutgefäßen können zu einem Schlaganfall, Herzinfarkt oder sogar zu einer Amputation der Beine führen.
Das muss nicht sein! Prof. Reinecke: „Betroffene sollten sich gleich an einen Gefäßspezialisten (Angiologen) wenden. Denn dieser kann am besten notwendige Behandlungen einleiten und kennt sich auch bei den neuesten Therapien am besten aus.“
Neue Therapien bei „Schaufensterkrankheit“
Vor allem im Bereich der „Schaufensterkrankheit“ gibt es mehrere gute neue Therapien. Ursache für die Beschwerden ist eine Durchblutungsstörung in den Beinen. In der Wade oder im Gesäßbereich entstehen Schmerzen, weil sich die Blutgefäße verengt haben. Die Muskeln erhalten nicht mehr genug Nährstoffe und Sauerstoff. Wird die Durchblutungsstörung ausgeprägter oder verschließt eine Arterie vollständig, treten die Schmerzen sogar in Ruhe auf. Die Blutgefäße können durch zahlreiche Risikofaktoren geschädigt werden, vor allem aber durch langjähriges Rauchen. Daher werden die von der pAVK betroffenen Beine oft auch „Raucherbeine“ genannt. Weitere Risikofaktoren: Diabetes, Bluthochdruck, eine Fettstoffwechselstörung, Bewegungsmangel, Gicht, Übergewicht und Stress.
Die Behandlung erfolgt immer mehrgleisig. An erster Stelle steht, die Risikofaktoren auszuschalten. Das bedeutet: Mit dem Rauchen aufhören und eventuelle Grunderkrankungen wie Bluthochdruck behandeln. Ist das geschehen, sollte durch ein strukturiertes Gehtraining unter Anleitung eine Verbesserung der Durchblutung der noch verbliebenen Gefäße versucht werden. Durch die aktive Bewegungstherapie können sich unter Umständen um den Gefäßverschluss herum kleine Blutgefäße eröffnen und erweitern. Man nennt das Umgehungskreislauf. Hilft das Bewegungstraining nicht, müssen andere Maßnahmen ergriffen werden.
Neue Therapien:
► Neue Medikamente. In der mit über 27.000 Patienten groß angelegten COMPASS-Studie wurde der antithrombotische Wirkstoff Rivaroxaban untersucht. Prof. Reinecke: „Es zeigte sich, dass Rivaroxaban in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) bei Patienten mit pAVK das Risiko für Schlaganfälle um 42 Prozent, die Gefahr eines Herzinfarkts um 14 Prozent und das für kardiovaskuläre Todesfälle um 22 Prozent senken kann.“ Die ebenfalls neue FOURIER-Studie gibt wiederum grünes Licht für den sogenannten PCSK9-Hemmer. Es handelt sich dabei um eine neuartige Wirkstoffklasse zur Verringerung des LDL-Cholesterinwertes. „Man weiß, dass eine hohe Gesamtcholesterinkonzentration die pAVK in der Regel verschlimmert. Die FOURIER-Studie zeigt nun, dass die Einnahme eines PCSK9-Hemmers die pAVK verbessert“, erläutert Dr. Prof. Reinecke.
► Neue Kathetertechniken. Bisher war es nur möglich, die Blutgefäße von oben, das heißt vom Oberschenkel aus, zu erreichen. Hierbei wurde an der Leiste punktiert und der Katheter im Blutgefäß bis zur Engstelle vorgeschoben. Dank neuester sehr feiner Katheter können verstopfte Blutgefäße vom Fuß oder Unterschenkel aus erreicht werden (retrograder Zugang). Am Fuß haben die Blutgefäße einen sehr viel kleineren Durchmesser als am Oberschenkel. „So können noch mehr Patienten mit komplexen Gefäßverschlüssen behandelt werden“, freut sich Prof. Reinecke.
► Medikamentenbeschichtete Ballons. Über den Katheter wird ein Ballon bis zur Engstelle vorgeschoben und aufgepumpt. Auf diese Weise weitet sich das Blutgefäß. Damit sich die Stelle anschließend nicht wieder verschließt, werden jetzt moderne medikamentenbeschichtete Ballons eingesetzt. Der Wirkstoff Paclitaxel sorgt dafür, dass das Gefäß dauerhaft offenbleibt.
► Neue Stents. Häufig muss die Verengung mit einem speziellen Metallgeflecht (Stent) armiert werden. Ganz neu sind sogenannte „Spot Stents“. Es handelt sich dabei um einzelne kleine Stents, die ein Gefäß offenhalten sollen. Prof. Reinecke: „Früher hat man einen längeren durchgehenden Stent an der verengten Stelle eingesetzt. Es hat sich aber gezeigt, dass dieser lange Stent bei alltäglichen Bewegungen, die jeder Mensch macht, zu sehr beansprucht wird und im Blutgefäß Schaden anrichten kann. Mit mehreren kurzen Stents kann sich der Patient viel besser bewegen.“
► Stammzellen. Neueste Studien zeigen, dass die Stammzellentherapie die Durchblutung verbessern kann. Prof. Reinecke: „Für die Stammzellentherapie bei pAVK werden Stammzellen aus der Plazenta entnommen. Es handelt sich um die Plazenta einer Spenderin, die gerade ihr Baby bekommen hat und die Plazenta ohnehin nicht mehr benötigt. Diese Stammzellen werden hochgezüchtet. Anschließend injiziert man diese dem Patienten.“
Neue Venenstents bei der tiefen Venenthrombose (TVT)
Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie diskutierten die Gefäßexperten auch intensiv über die tiefe Venenthrombose (TVT). Denn neue Venenstents machen neue Hoffnung.
Die tiefe Venenthrombose ist nach dem Herzinfarkt und Schlaganfall die dritthäufigste akut auftretende kardiovaskuläre Erkrankung. Die betroffenen Patienten haben wie Patienten mit pAVK Schmerzen in den Beinen und oft können nur noch kurze Gehstrecken zurückgelegt werden. Ursache für die Erkrankung ist auch hier eine Verengung eines Blutgefäßes, allerdings in diesem Fall meistens im Becken. „Dadurch staut sich das Blut in den Beinen. In der Folge bildet sich ein Thrombus und das Blutgefäß verstopft“, erläutert Prof. Reinecke. Die nunmehr entstandene TVT kann schnell lebensgefährlich werden. Denn der Thrombus kann sich lösen und in die Lunge wandern. Eine lebensbedrohliche Lungenembolie droht.
Um die Verengung dauerhaft zu beseitigen und das Gefäß offen zu halten, braucht man spezielle Stents. „Die neuesten Venenstents sind einerseits sehr stabil und andererseits sehr flexibel, damit der Patient sie bei Bewegungen nicht spürt”, sagt Prof. Reinecke. Der Venenstent wird unter Röntgenkontrolle über eine kleine Punktion in der Leiste oder der Kniekehle bis zur Verengung vorgeschoben. Prof. Reinecke: „Die Einengung der Vene wird so dauerhaft beseitigt. Das Blut aus den Beinen kann wieder ungehindert zum Herzen zurückfließen. Schwellungen und Schmerzen gehen zurück.”
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V.
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