Medizinische Kanülen, Einwegspritzen und Dialyseschläuche, aber auch pharmazeutische Verpackungen müssen keimfrei sein. Die Sterilisation per Elektronenstrahl ist ein bewährtes Verfahren, um Bakterien, Viren, Pilze, Sporen und Co. abzutöten. Das geschieht durch beschleunigte, energiereiche Elektronen, die in das Material eindringen. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP in Dresden wenden diese Methode erfolgreich an, beispielsweise um Saatgut von Schaderregern zu befreien. Innerhalb von Millisekunden wird die DNA der Schädlinge zerstört und damit die Vermehrungsfähigkeit ausgeschaltet. Jetzt übertragen die Wissenschaftler ihre Expertise auf neue Anwendungsbereiche: Sie untersuchen die Möglichkeiten der nichtthermischen Elektronenstrahltechnologie zum Sterilisieren und Modifizieren von biologischem Gewebe. Damit lassen sich neue Behandlungsmöglichkeiten im medizinischen Bereich erschließen.
Niederenergie-Elektronenstrahlbehandlung
„Wir behandeln Gewebeproben unter Atmosphärendruck und bei Temperaturen unter 40 Grad Celsius mit Elektronen, die nur gerade so viel beschleunigt werden, dass sie in das Material eindringen können. Das nennt man Niederenergie-Elektronenstrahlbehandlung“, erläutert Dr. Jessy Schönfelder, Leiterin der Arbeitsgruppe Medizinische Applikationen am FEP. Die Vorteile dieser materialschonenden Methode: Das Gewebe heizt sich nicht auf, Zellen bleiben intakt – die Wirktiefe kann angepasst und so nur die äußere Oberflächenschicht sterilisiert werden. Mit der REAMODE (Reaktive Modifizierung mit Elektronen) nutzen die Wissenschaftler am FEP eine Forschungsanlage, die sich für verschiedenste Anwendungen der Niederenergie-Elektronenstrahltechnologie anpassen lässt. Parameter wie Eindringtiefe und Intensität lassen sich gezielt bestimmen.
Gewebe mit beschleunigten Elektronen vernetzen
Mit beschleunigten Elektronen können die Forscher auch Materialeigenschaften gezielt beeinflussen und Veränderungen im Gewebe bewirken. Für ihre Versuche wählten sie als biologisches Modell den Schweineherzbeutel. Mediziner nutzen dieses Gewebe als biologischen Herzklappenersatz. Allerdings halten die Implantate maximal 15 Jahre. Der Grund: Die für eine notwendige Vernetzung des Gewebes verwendete Chemikalie Glutaraldehyd bewirkt mittelfristig auch eine Verkalkung der biologischen Implantate. „Beschleunigte Elektronen sind hier durch ihre Eigenschaft, chemische Bindungen zu spalten und Quervernetzungen zu ermöglichen, eine interessante Alternative“, erklärt Schönfelder. In ihren Versuchen konnten die Forscherin und ihr Team eine Quervernetzung von Kollagenmolekülen, sprich Proteinketten, nachweisen.
Um die Zellverträglichkeit der Elektronenstrahlsterilisation nachzuweisen, säten die Forscher auf unterschiedlichen Proben Zellkulturen aus. Auf dem mit dem toxischen Glutaraldehyd behandelten Gewebe wuchs nur ein geringer Anteil der Zellen an. Auf dem per Elektronenstrahl modifizierten Pendant hingegen wuchsen im Vergleich deutlich mehr Zellen und konnten sich vermehren. Auf unbehandelten Proben siedelten sich im Vergleich sogar weniger Zellen an als auf den mit Elektronen behandelten Proben.
Zellfunktionen bleiben erhalten
Auch Tests mit biologischen Gefäßprothesen – hierfür verwendeten die Experten Aorten vom Tiermodell – waren erfolgreich. „Bei Patienten mit Blutgefäßerkrankungen ist der Ersatz der Gefäße durch synthetische Prothesen aus Polymeren unvermeidbar. Diese sind aufgrund der Thrombosegefahr auf Durchmesser ab sechs Millimeter beschränkt. Bei Gefäßdurchmessern, die kleiner als sechs Millimeter sind, müssen biologische Implantate verwendet werden“, sagt Schönfelder. Ein Problem ist deren Sterilisation. Die Muskel- und Endothelzellen in den inneren Schichten der Blutgefäße dürfen nicht geschädigt werden. Da die Forscher mit ihrer Anlage die optimale Eindringtiefe der Elektronen in die Gefäßwand festlegen können und nur die äußere Schicht der Aorta sterilisieren, behalten die Zellen ihre Funktionalität.
Die Eindringtiefe bei den Tests betrug 23 Mikrometer und liegt damit im Bereich der äußersten Bindegewebsschicht. „Bei einer Strahlendosis von 22 Kilogray (kGy) wurden die Gefäßfunktionen nicht beeinträchtigt. Gleichzeitig wurden die auf die Probe aufgebrachten Bakterien sicher und innerhalb weniger Sekunden abgetötet“, bestätigt die Chemikerin. Die niedrige Beschleunigungsenergie ermöglicht kompakte Bauformen der Geräte für die Elektronenbehandlung. Durch die gleichzeitig hohe Behandlungsgeschwindigkeit ist die Methode für den Einsatz in einer Gewebebank oder im Operationssaal prädestiniert. Nun wollen die Experten den Prozess optimieren und im nächsten Schritt ein auf das Verfahren angepasstes Sterilisationsgerät bauen. (idw, red)
*links: Humane Fibroblasten-Zellkultur, ausgesät auf einem Schweineherzbeutel, der mit Glutaraldehyd chemisch vernetzt wurde. Die Zellen reagieren auf Reste der toxischen Chemikalie, indem nur wenige von ihnen anwachsen.
rechts: Humane Fibroblasten-Zellkultur, ausgesät auf einem Schweineherzbeutel, der per Elektronenstrahl vernetzt wurde. Auf dem zytokompatiblen Herzbeutel wachsen mehr Zellen an und vermehren sich dort.
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