Wie das Nobelkomittee am Karolinska-Institut in Stockholm mitteilte, wurde Yoshinori Ohsumi für die Entdeckung der Mechanismen der Autophagozytose oder Autophagie ausgezeichnet, die für das Recycling von Zellbestandteilen zuständig ist. Störungen dieser essenziellen Zellfunktion werden mit einer wachsenden Zahl von Erkrankungen in Verbindung gebracht, von Fehlbildungen über Infektionen und Krebs bis hin zu Diabetes und Morbus Parkinson. Der Nobelpreis ist in diesem Jahr mit 8,0 Millionen schwedischer Kronen, umgerechnet 833.785 Euro, dotiert.
Yoshinori Ohsumi wurde 1945 in Fukuoka geboren. Er promovierte 1974 an der Universität Tokio, danach war er drei Jahre an der Rockefeller University in New York tätig. Er kehrte dann an die Universität von Tokio zurück, wo er 1988 eine Forschungsgruppe gründete. Seit 2009 ist Ohsumi Professor am Tokyo Institute of Technology.
Die mit dem Nobelpreis honorierten Experimente begann Ohsumi Ende der 1980er Jahre. Damals war bekannt, dass die Zellen aller Organismen ein Organell enthalten, das zur Verdauung von Zellinhalten in der Lage ist und als Lysosom bezeichnet wird. Sein Entdecker, der belgische Wissenschaftler Christian de Duve, hatte 1974 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Den Selbstverdauungsprozess der Zellen bezeichnet de Duve als Autophagie nach den altgriechischen Wörtern für selbst (autos) und fressen (phagein).
Vorgänge bei der Autophagie
Damals war bekannt, dass die Lysosomen Enzyme enthalten, mit denen sie Kohlenhydrate, Fette und Proteine zerlegen können. Die Endprodukte stehen dann für die Energiegewinnung oder als Bausteine für neue Zellstrukturen zur Verfügung, weshalb die Autophagie besser als Zellrecycling bezeichnet werden könnte.
Die genauen Vorgänge bei der Autophagie und ihre Regulierung waren nicht bekannt. Die Forschung hatte lediglich herausgefunden, dass die zur Autophagie bestimmten Zellbestandteile zunächst von Zellmembranen umschlossen werden. Dabei kommt es zur Bildung eines Autophagosoms, das in der Zelle nur für 10 bis 20 Minuten existiert. Danach fusioniert es mit dem Lysosom, das die für die Autophagie verantwortlichen Enzyme enthält.
Die genauen Mechanismen waren jedoch völlig unbekannt. Dies änderte sich erst durch die Experimente, die Ohsumi ab 1988 an der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisae durchführte. Hefezellen besitzen eine Vakuole, die dem Lysosom der menschlichen Zelle entspricht. Damals war bekannt, dass ein Nährstoffmangel die Vakuole vergrößert, ein Überfluss an Zucker sie dagegen verkleinert.
Die Autophagie tritt bei allen Organismen auf
Inzwischen wird angenommen, dass der Nährstoffmangel die Zelle veranlasst, eigene Zellstrukturen zu opfern, um dem Hungertod zu entgehen. Um die Mechanismen der Vakuolenbildung zu entschlüsseln, untersuchte Ohsumi Mutanten von S. cerevisae. Bei einigen Mutanten kam es offensichtlich zu einem Defekt der Autophagie: Die Vakuole war mit Autophagosomen gefüllt, die jedoch nicht weiterverarbeitet wurden.
Damit war einerseits zweifelsfrei belegt, dass Hefezellen über den Mechanismus der Autophagie verfügen. Andererseits hatte Ohsumi einige Gene entdeckt, die offenbar für die Autophagie benötigt werden, da ihr Ausfall in den Mutanten den Prozess störte. Ohsumi katalogisierte diese Gene.
Aus der genauen Erforschung der Gene konnte schließlich die genaue Abfolge der Autophagie rekonstruiert werden. Ein Stresssignal veranlasst die Bildung einer Phagophore. Es handelt sich um eine Zellmembran in der Zelle, die sich vergrößert und dann die zu eliminierenden Zellbestandteile umschließt. Dies führt zur Bildung des kurzlebigen Autophagosoms, das seine Ladung bei einer Vakuole abliefert.
Heute ist klar, dass die Autophagie in Varianten bei allen Organismen auftritt. Sie ist für den Erhalt der Zelle unter normalen Bedingungen notwendig, sie kann aber auch Krankheitserreger – von Viren bis zu intrazellulären Bakterien – umschließen und der Verdauung durch die Lysosomen zuführen. Darüber hinaus hat die Autophagie eine wichtige Rolle in der Embryogenese.
Verbindung zu metabolischen Erkrankungen
Defekte in den beteiligten Genen können weitreichende Folgen haben. Mäuse, denen das Gen ATG 5 fehlt, sind bei der Geburt unauffällig. Sie sterben jedoch am ersten Lebenstag, weil sie unfähig sind, den Hungerzustand vor der ersten Fütterung zu überstehen. Das Autophagie-Gen Beclin-1, ein Homolog des Hefe-Gens ATG 6, ist bei den meisten Mamma- und Ovarialkarzinomen mutiert. Genvarianten anderer Autophagie-Gene waren in Studien mit immunologischen Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Lupus erythematodes assoziiert.
Andere Varianten machen Menschen anfällig für Infektionen wie Lepra, wieder andere erhöhen das Asthmarisiko oder schädigen die Lungenfunktion. Es gibt Verbindungen zu metabolischen Erkrankungen wie dem Typ 2-Diabetes, zur Atherosklerose und zu neurodegenerativen Erkrankungen wie dem Morbus Parkinson.
Defekte in Autophagie-Genen werden auch zunehmend mit Störungen der Embryogenese in Verbindung gebracht. Die Folgen können Fehlbildungen des Gehirns sein, aber auch Epilepsie, geistige Behinderungen, Bewegungsstörungen oder neurodegenerative Erkrankungen (Brain 2016; 139: 317-37).
Quelle: www.aerzteblatt.de/nachrichten/70742/Medizinnobelpreis-fuer-Entdecker-der-Autophagozytose
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