Hinter diesem exotisch klingenden Weltrekord stehen jahrzehntelange Entwicklungsarbeit und die Möglichkeit, komplizierte Herzoperationen an Neugeborenen ohne Fremdblut-Konserven durchführen zu können. Die hat für die Babys erhebliche Vorteile. Komplexe angeborene Herzfehler müssen meist sehr bald nach der Geburt operiert werden. Dabei wird das Herz vorübergehend stillgelegt und eine Herz-Lungen-Maschine (HLM) eingesetzt.
Spenderblut mit Risiken
Diese Maschine muss vorab „befüllt“ werden, weil sie sonst Luft in den Körper pumpen würde. Früher wurde dazu Spenderblut verwendet, das aber trotz sorgfältigster Prüfung noch immer ein Risiko für Infektionen und Unverträglichkeitsreaktionen birgt.
Heute wird zur Befüllung der HLM deshalb meist eine sterile Elektrolytlösung eingesetzt. Die dadurch verursachte vorübergehende Verdünnung des Blutes ist bei erwachsenen Patienten nachweislich harmlos. Bei Neugeborenen oder Kleinkindern wirkt sich eine solche Verdünnung aber weit drastischer aus: Denn in den kleinen Körpern zirkulieren nur wenige hundert Milliliter Blut (ca. 85 ml pro Kilogramm Körpergewicht). Eine Vorab-Befüllung mit Spenderblut war deshalb trotz aller Risiken und Nachteile oft unumgänglich.
Ziel war, fremdblutfreie Eingriffe zu ermöglichen
Am Deutschen Herzzentrum Berlin wird bereits seit vielen Jahren intensiv an der Entwicklung und dem optimalen Einsatz von speziellen Herz-Lungen-Maschinen gearbeitet, die fremdblutfreie Eingriffe auch bei Neugeborenen ermöglichen. Dabei arbeiten Kardiotechniker, Chirurgen, Kinderkardiologen und Anästhesisten gemeinsam mit den Herstellern der Systeme eng zusammen.
Die wichtigsten Bestandteile einer Herz-Lungen-Maschine konnten ab einem bestimmten Punkt aber nicht weiter verkleinert werden: Die Pumpe, die - vereinfacht gesagt - das Herz ersetzt und der „Oxygenator“, der das Blut mit Sauerstoff anreichert und damit die Arbeit der Lunge übernimmt.
„Den größten Anteil des Füllvolumens einer Herz-Lungen-Maschine beanspruchen aber gar nicht ihre einzelnen Bestandteile, sondern die Schläuche, die die Komponenten miteinander verbinden und die von der Herz-Lungen-Maschine zum Patienten führen“, schildert DHZB-Kardiotechniker Wolfgang Böttcher.
Schlauchverbindungen so kurz wie möglich
Ziel der Entwickler war es also, die Schlauchverbindungen so kurz wie möglich zu halten. Dazu müssen die einzelnen Komponenten der Herz-Lungen-Maschine sehr dicht nebeneinander angebracht und die Maschine sehr nah am Operationstisch positioniert werden – ohne den Herzchirurgen allzu sehr in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken.
„Das mag zunächst relativ simpel erscheinen, ist aber in den Details eine Herausforderung“, so Böttcher: „Von der zuverlässigen Funktion der Herz-Lungen-Maschine hängt schließlich das Leben eines Kindes ab. Jede Veränderung an diesem System muss penibel genau geplant und umgesetzt werden.“
Die beharrliche Arbeit des fachübergreifend zusammengesetzten Teams hat sich gelohnt. 73 Milliliter Füllvolumen der Herz-Lungen-Maschine sind nicht nur Weltrekord, sondern erlauben die fremdblutfreie OP selbst bei frühgeborenen Säuglingen von unter 2.000 Gramm Geburtsgewicht.
Schnellere Erholung nach der OP
Inzwischen gilt das DHZB als weltweit einziges Herzzentrum, in dem fremdblutfreien Eingriffe bei Neu- und Frühgeborenen routinemäßig und ohne Sicherheitsrisiko durchgeführt werden können.
„Wir können damit nicht nur die Infektions- und Unverträglichkeitsrisiken minimieren, sondern unseren Patienten häufig auch eine schnellere Erholung nach der Operation ermöglichen“, sagt Prof. Dr. med. Joachim Photiadis, Leiter der Klinik für Kinderherzchirurgie am DHZB: „Denn es ist nachgewiesen, dass die nach der Operation erforderliche Beatmungszeit beim Verzicht auf Fremdblut durchschnittlich kürzer ist – und damit meist auch der Aufenthalt des Patienten auf der Intensivstation.“
Und auch für die klinischen Abläufe bietet die fremdblutfreie Kinderherzchirurgie Vorteile: Eine Herz-Lungen-Maschine, die nicht mit Spenderblut befüllt werden muss, ist schneller wieder einsetzbar und steht für den nächsten Patienten rascher bereit.
Quelle: idw/Deutsches Herzzentrum Berlin
Artikel teilen