Evonik forscht an bioabbaubaren Composite-Materialien, die künftig Implantate aus Metall bei Knochenbrüchen ersetzen können. Die Implantate dienen der Fixierung der Knochen bis zur Heilung des Bruchs. Während Implantate aus Metall normalerweise im Körper verbleiben oder in einer weiteren Operation entfernt werden müssen, arbeiten die neuen Composite-Materialien von Evonik als Helfer auf Zeit. Sie bestehen aus Polymeren, die der Körper selbst abbauen kann, und Substanzen, die natürlicherweise im Knochen vorkommen. Auch wenn die Forscher von Evonik mit ihren Arbeiten an den bioabbaubaren Composites noch ganz am Anfang stehen, die Vorteile für den Patienten sind klar: keine weitere Operation zur Entfernung des Implantats und eine natürliche Regeneration der Knochen.
Regenerative Medizin im Blick
Das Projekt ist eines der Forschungsvorhaben des Projekthauses Medical Devices in Birmingham (Alabama, USA). Dort arbeiten über 20 Evonik-Forscher derzeit an Materialien und Lösungen für die Medizintechnik. Ziel sind vor allem Anwendungen in der Implantattechnologie. Die Vision der Forscher formuliert Dr. Andreas Karau, Leiter des Projekthauses: „Langfristig haben wir die regenerative Medizin im Blick: Wir wollen Bioimplantate schaffen, um geschädigtes Gewebe im Körper durch gesundes ersetzen zu können. Unsere aktuellen Arbeiten an den bioabbaubaren Composites sind hierfür ein erster Schritt.“
In der Medizintechnik werden leistungsfähigere bioabbaubare Materialien gebraucht. Alleine der Bedarf für Implantate zur Stabilisierung von Knochen nach Brüchen ist groß: Osteoporose verursacht weltweit jedes Jahr mehr als 8,9 Millionen Knochenbrüche. Weltweit hat der Markt für Medizintechnik ein Volumen von 300 Milliarden Euro und wächst jährlich um rund 6 Prozent. Die USA haben mit 40 Prozent den weitaus größten Marktanteil, und US-amerikanische Firmen sind vor allem im Bereich Implantattechnologie führend. Weitere wichtige Medizintechnikmärkte sind Europa und Japan.
Abbau zu Kohlendioxid und Wasser
„Durch unsere führende Position im Bereich der Polymere auf Polymilchsäurebasis haben wir eine exzellente Ausgangsposition, geeignete Materialien und Lösungen für eine regenerative Medizin zu entwickeln“, sagt Karau. Die Polymere werden im Körper komplett zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Die Abbauzeit lässt sich durch Zusammensetzung, Kettenlänge und Kristallisationsgrad des Polymers gezielt steuern. Sie kann zwischen wenigen Wochen und etlichen Monaten betragen – Zeit genug für Knochen oder andere Gewebe, sich zu regenerieren.
Medizinproduktehersteller verwenden die Polymere, die Evonik im Geschäftsgebiet Health Care unter dem Namen RESOMER® vermarktet, heute bereits zur Produktion von bioabbaubaren Schrauben, Stiften und kleinen Platten. Damit werden vor allem gerissene Bänder im Knie- oder Schultergelenk fixiert und vereinzelt auch Brüche kleinerer Knochen in Fingern oder im Gesichtsschädel versorgt.
Derzeit mangelt es noch an Festigkeit
„Für die Anwendung bei großen, tragenden Knochen fehlt es den derzeit verfügbaren Materialien allerdings noch an Festigkeit“, erklärt Karau. Die Forscher im Projekthaus Medical Devices beschäftigen sich deshalb mit Composite-Materialien, bei denen die bioabbaubaren Polymere durch anorganische Substanzen wie zum Beispiel Derivate von Calciumphosphat verstärkt werden.
Diese sollen die Materialien nicht nur härter machen, sondern auch ihre Biokompatibilität verbessern. „Calcium und Phosphat können beim allmählichen Abbau des Polymers zur Bildung von Knochenmaterial verwendet werden“, beschreibt Karau die Idee.
Eventuell im 3D-Druck herstellen
Doch die Überlegungen der Forscher gehen noch weiter: Auf der Basis geeigneter Materialien wäre es sogar möglich, patientenspezifische Implantate, das heißt maßgeschneiderte Knochenstücke, im 3D-Druck herzustellen. Die Evonik-Wissenschaftler in Birmingham haben sich vorgenommen, die bioabbaubaren Polymere für derartige Verfahren tauglich zu machen.
„Langfristig denken wir auch daran, Polymermatrizes zu schaffen, die mit lebenden Zellen besiedelt werden können, also echte biologische Implantate“, so Karau. Damit ließen sich dann etwa Knorpelgewebe erneuern oder geschädigte Herzmuskelzellen durch gesunde ersetzen. Aber vorher muss vor allem die Biokompatibilität der Materialien verbessert werden.
Die Wissenschaftler in Birmingham, die zur Creavis, der strategischen Innovationseinheit von Evonik, gehören, arbeiten eng mit den Polymer-Spezialisten aus den Geschäftsgebieten Health Care und High Performance Polymers zusammen. Im Fokus des Projekthausteams stehen neben bioabbaubaren Materialien auch biokompatible Kunststoffe der Produktlinie VESTAKEEP® Implant. Zum aktuellen Evonik-Portfolio für die Medizintechnologie gehört neben den erwähnten Materialien auf Basis von RESOMER® und VESTAKEEP® Implant noch VESTAMID® Care, eine Polyamid- Formmasse, die unter anderem als Kathetermaterial eingesetzt wird.
In Projekthäusern bearbeitet die Creavis in der Regel drei Jahre lang jeweils ein Themenfeld gemeinsam mit mehreren Geschäftsgebieten. Nach Ablauf der Zeit kehren die Forscher in ihre Geschäftsgebiete zurück. Die in den Projekthäusern entwickelten Produkte und Technologien werden typischerweise durch ein Geschäftsgebiet vermarktet. Evonik hat seit dem Jahr 2000 insgesamt elf Projekthäuser ins Leben gerufen. (idw, red)
Artikel teilen