Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den globalen Gesundheitsnotstand erklärt, sieht jedoch keinen Grund zur Panik. Das Auswärtige Amt rät Schwangeren von einer vermeidbaren Reise in die Risikogebiete ab. Meldungen, die verunsichern. Ein Experte am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, bewertet die aktuelle Situation.
Eine erste Studie hat das Virus im Gehirngewebe eines Neugeborenen mit Mikrozephalie nachgewiesen. Ist damit der Zusammenhang zwischen einer Zika-Virus-Infektion und diesen Fehlbildungen bei Neugeborenen bewiesen?
J. Schmidt-Chanasit: Die erste Studie hierzu ist im renommierten New England Journal of Medicine erschienen. Sie weist nach, dass Zika-Viren das Gehirn von Föten schädigen können. Man vermutet, dass insbesondere eine Infektion im ersten Drittel einer Schwangerschaft gefährlich ist. Ob die Zika-Virus-Infektion allerdings der einzige Faktor für eine Mikrozephalie bei den betroffenen Neugeborenen in Brasilien ist, bleibt weiterhin ungeklärt. Auch dass der – man muss vorsichtig sagen: vermutete Anstieg der Mikrozephalie-Fallzahlen in Brasilien durch das Zika-Virus verursacht wurde, ist durch diese Veröffentlichung noch nicht bewiesen. Weitere Publikationen sind wünschenswert.
Können Schwangere derzeit nach Südamerika reisen? Und was raten Sie Schwangeren, die aus Südamerika zurückkommen?
J. Schmidt-Chanasit: Hierzu gibt es ganz klare Empfehlungen, die beispielsweise das Robert Koch-Institut oder das European Centre for Disease Prevention and Control ausgesprochen haben. Diese besagen unter anderem, dass Schwangere Zika-Ausbruchsgebiete derzeit nach Möglichkeit meiden sollten. Auch für reisende Schwangere, die aus Brasilien zurückkehren, gibt es klare Anweisungen: Wir haben ein Schema entwickelt, das klärt, wer sich wann und wie testen lassen sollte. Dort wird auch beschrieben, was man gegebenenfalls für eine Untersuchung einschicken müsste, zum Beispiel Blut oder Urin. Zu finden ist das Schema auf der Website des Bernhard Nocht-Instituts www.bnitm.de in der Rubrik „Aktuelles“ unter „Mitteilungen“.
Müssen besondere Vorkehrungen für die kommenden Olympischen Sommerspiele im August in Brasilien getroffen werden?
J. Schmidt-Chanasit: Uns kommt zupass, dass während der Olympischen Spiele in Brasilien Winter ist. Es werden also zum Teil nur 12 bis 15 Grad erreicht und die Mücken haben keine Hauptsaison. Außerdem werden schon jetzt Maßnahmen ergriffen: Die Brutstätten der Stechmücken werden saniert, um die Dichte der Insekten abzusenken. Die Athleten selbst sollten sich schützen; auch für sie gibt es eindeutige Handlungsempfehlungen. Am DZIF-Standort Hamburg-Lübeck-Borstel läuft bereits seit 2013 ein Projekt, das klären soll, wo es in Rio de Janeiro am meisten Mücken gibt, die das Zika-, Dengue- und Chikungunya-Virus übertragen. Anhand der Ergebnisse sollen frühzeitig Bekämpfungsmaßnahmen initiiert werden, um die Gäste, Athleten und Einheimischen vor diesen Infektionskrankheiten zu schützen.
Wie wahrscheinlich ist es, sich in Deutschland eine Zika-Virus-Infektion „einzufangen“?
J. Schmidt-Chanasit: Unwahrscheinlich, aber man kann es natürlich nicht ausschließen. Dafür wissen wir einfach noch zu wenig über das Zika-Virus. Weitere Studien müssen folgen, um das Risiko auch für Deutschland besser abschätzen zu können. Und genau daran arbeiten wir: Wir infizieren am Bernhard-Nocht-Institut zum Beispiel heimische Mücken mit dem Zika-Virus und untersuchen im Labor, ob sie den Erreger übertragen können. In Deutschland haben wir außerdem den Vorteil, dass es einen echten Winter gibt, den die Mücken nicht überleben.
Wie kann man eigentlich eine Infektion mit dem Zika-Virus feststellen?
J. Schmidt-Chanasit: Es gibt zwei Möglichkeiten, die Zika-Infektion zu diagnostizieren: In den ersten Tagen nach einer Infektion lässt sich das Virus direkt mittels einer so genannten Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachweisen. Danach kann die Infektion serologisch anhand von Antikörpern im Blut festgestellt werden. Mehr Informationen dazu finden sich ebenfalls auf der Website des BNITM.
Welche Forschung läuft bereits in Deutschland?
J. Schmidt-Chanasit: In Hamburg wurde im Jahr 2013 der erste nach Europa importierte Fall einer Zika-Virus-Infektion festgestellt; seitdem hat sich der Standort zu einer wichtigen Instanz in der Zika-Virus-Forschung in Deutschland etabliert. Es gibt eine Reihe von langjährigen Projekten in den unterschiedlichsten Bereichen: In der Diagnostik konnten zusammen mit zwei Industriepartnern die ersten kommerziellen serologischen und molekulardiagnostischen Tests entwickelt werden. In den Gebieten, in denen das Zika-Virus gehäuft auftritt, wurden Labore aufgebaut, um weitergehende Studien durchführen zu können. Diese Studien konzentrieren sich sowohl auf die Erforschung der Virusökologie als auch auf die nähere Untersuchung der schweren Verläufe einer Zika-Virus-Infektion bei Menschen. Außerdem sollen Infektionsexperimente mit einheimischen und eingeschleppten Stechmückenarten klären, ob diese das Zika-Virus auf den Menschen übertragen können.
Sollte ein Impfstoff entwickelt werden, wenn der Zusammenhang zu Mikrozephalie bewiesen ist?
J. Schmidt-Chanasit: Ein Impfstoff wird auf jeden Fall entwickelt, so viel steht fest. Allerdings sind wir noch viel weiter von einem Impfstoff entfernt als bei Ebola, wo zum Zeitpunkt der letzten Epidemie bereits ein Impfstoffkandidat vorlag. Ich gehe aber davon aus, dass auch gegen das Zika-Virus ein Impfstoff entwickelt werden kann, denn wir haben bereits welche gegen andere Flaviviren wie FSME oder Gelbfieber. Wahrscheinlich wird, wenn der Impfstoff irgendwann vorliegt, mit der Immunisierung ähnlich vorgegangen wie bei Röteln: Kinder werden geimpft und in Folge kommt es zu einer „Herdenimmunität“, d.h. der Erreger kann keine Epidemien mehr hervorrufen. Bis es so weit ist, wird es allerdings noch einige Jahre dauern.
Das Zika-Virus verursacht in circa 20 Prozent der Fälle Fieber, Hautausschlag, Kopfschmerzen, Muskel- und Gelenkschmerzen und Bindehautentzündungen; die Krankheit verläuft individuell unterschiedlich. Bisher ist weder eine Impfung noch eine antivirale Therapie verfügbar. Die wirksamste Vorbeugung besteht darin, sich vor Mückenstichen zu schützen. Nach neuesten Erkenntnissen ist auch Vorsicht bei sexuellem Kontakt geboten, da das Virus auch durch Geschlechtsverkehr mit einer infizierten Person übertragen werden kann. Bei Schwangeren kann das Virus auf das Ungeborene übertragen werden. Forscher vermuten einen Zusammenhang zwischen der Virusinfektion und Fehlbildungen des Gehirns bei Föten: In Brasilien wurden seit Oktober mehr als 5.000 Fälle von Babys oder Föten mit Mikrozephalie, einem zu kleinen Kopf, registriert. Viele dieser Fälle sind aber noch nicht vollständig untersucht, und nur bei wenigen wurde eine Zika-Infektion bestätigt. Außerdem kann das Zika-Virus Forschern zufolge eine schwere Nervenkrankheit auslösen, die unter dem Namen Guillain-Barré-Syndrom bekannt ist. Das Virus wird nach derzeitigem Kenntnisstand von der Mückenart Aedes aegypti übertragen – eine Mückenart, die in Deutschland nicht vorkommt. Die in Deutschland seltene Art Aedes albopictus könnte theoretisch das Virus übertragen – die Häufigkeit dieser Insekten in Deutschland ist gering, so dass Experten eine Übertragung des Virus für unwahrscheinlich halten. Das Virus wurde erstmals vor knapp 70 Jahren in Uganda beschrieben. Es wird vermutet, dass es 2014 mit den vielen Reisenden zur Fußball-WM nach Brasilien gelangt ist. (idw, red)
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