Die Nebennieren des Menschen sind wahre „Chemiefabriken“: Sie produzieren mehr als 40 verschiedene Hormone – darunter so prominente Vertreter wie Cortisol, Adrenalin, Aldosteron und die Sexualhormone – und spielen dementsprechend bei der Regulation einer Vielzahl von Prozessen des menschlichen Körpers eine wichtige Rolle.
Gleichzeitig sind Nebennieren die Organe des Menschen, in denen sich am häufigsten gutartige Neubildungen entwickeln. „Gutartige Tumoren der Nebenniere findet man bei etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung“, erklärt Professor Martin Fassnacht. Der Mediziner ist Leiter des Schwerpunkts „Endokrinologie und Diabetologie“ an der Medizinischen Klinik I des Würzburger Universitätsklinikums (UKW).
Neues Forschungsprojekt
Jetzt leitet Fassnacht gemeinsam mit der Privatdozentin Dr. Cristina Ronchi, die dem Bereich Translationale Tumorendokrinologie vorsteht, und Dr. Sascha Sauer (ehemals auch Würzburg, jetzt Gruppenleiter am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin) ein neues Forschungsprojekt, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden drei Jahren mit rund 440.000 Euro finanziert. Ziel des Projekts ist es, die molekularen Prozesse zu identifizieren, die für die Entstehung von Tumoren der Nebenniere verantwortlich sind, und damit möglicherweise Schlüsselfragen der Krebsbiologie zu lösen. Gleichzeitig soll aber auch geklärt werden, warum bestimmte Tumoren Hormone produzieren und andere nicht.
Gutartige Tumoren sind häufig, bösartige selten
Dass sie an einem gutartigen Tumor der Nebenniere erkrankt sind, bekommen viele der Betroffenen nicht mit. „In der Mehrzahl der Fälle machen diese sich nicht bemerkbar“, sagt Martin Fassnacht. Beschwerden und Symptome treten in der Regel erst auf, wenn dieser Tumor selbst Hormone produziert, was bei etwa jedem Dritten der Fall ist. Dann entwickeln sich Krankheitsbilder wie etwa das Cushing- oder das Conn-Syndrom, die je nach Stärke und Ausprägung mit einer erhöhten Sterblichkeit einhergehen.
Im Gegensatz zu den gutartigen Tumoren ist der Nebennierenkrebs selten: Jährlich treten in Deutschland 80 bis 120 neue Fälle auf. Allerdings sind die Chancen auf eine Heilung gering. Auch nach der kompletten chirurgischen Entfernung des Tumors kommt es bei 60 bis 70 Prozent der Patienten zu einem Rückfall. Kaum besser ist der Erfolg der zurzeit einzigen zugelassenen medikamentösen Therapie: Nur etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten profitieren langfristig davon, so dass dringend neue Therapieansätze benötigt werden.
Genauer Blick auf die einzelne Zelle
Warum in der Nebenniere gutartige Tumoren entstehen und Hormone produzieren beziehungsweise welche Faktoren die Entwicklung bösartiger Tumoren in Gang setzen: Darüber rätselt die Wissenschaft bislang noch. „Die pathogenen molekularen Mechanismen sind in beiden Fällen in vielerlei Hinsicht noch unklar“, sagt Cristina Ronchi. Ändern soll sich das in den kommenden drei Jahren mit Hilfe der Erkenntnisse, die das Forscherteam in dem jetzt gestarteten Projekt zu gewinnen hofft. Die Wissenschaftler wollen dafür ihren Blick auf die einzelnen Zellen des Tumorgewebes fokussieren.
„Die Zellen eines Tumors stammen in der Regel von einer einzigen, gemeinsamen Zelle ab und weisen charakteristische Veränderungen im Erbgut auf, die für das ungebremste Wachstum verantwortlich sind“, erklärt Sascha Sauer. Trotzdem unterscheiden sich diese Zellen häufig in ihrem Wachstum und in ihrem Potenzial, Metastasen zu bilden. Verantwortlich dafür sind weitere Mutationen und eine spezielle Selektionsdynamik, die während des Tumorwachstums auftreten. Und genau hierauf fokussieren die Nebennierenforscher nun: Sie schauen sich in den Tumoren mit hochspezialisierten Techniken jede Tumorzelle und ihr Erbgut einzeln an. Mit dieser neuartigen Methodik erwarten sie völlig neue Erkenntnisse über die Tumoren als Ganzes.
Strategien für eine verbesserte Therapie
Das detaillierte Wissen über diese unterschiedliche Entwicklung der Tumorzellen wird nach Ansicht der Arbeitsgruppe das Verständnis der Tumorentstehung deutlich verbessern und in der Folge Strategien für eine verbesserte Therapie aufzeigen. Und das nicht nur für Tumoren der Nebenniere: Fassnacht und sein Team sind davon überzeugt, dass ihr Ansatz dazu in der Lage ist, Schlüsselfragen in der Krebsbiologie zu beantworten, sodass sich ihre Erkenntnisse auch auf andere Tumorarten übertragen lassen.
Quelle: idw/Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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