Vom 20.-23. Juni 2018 findet in Berlin die „CARS 2018“ statt, eine der weltweit wichtigsten Tagungen auf dem Gebiet der computergestützten Radiologie und Chirurgie. Einer der inhaltlichen Schwerpunkte wird maßgeblich vom Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen mitgestaltet: Wie lassen sich minimalinvasive Herzeingriffe mit Hilfe moderner Daten- und Bildverarbeitungsalgorithmen effektiver undpatientenschonender ausführen?
„Wir arbeiten an neuen technologischen Ansätzen, die die Diagnostik und die Therapieplanung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterstützen“, sagt MEVIS-Forscherin Anja Hennemuth. Seit Mai 2017 ist sie Professorin am Institut für kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin (ICM), einer noch jungen Gemeinschaftseinrichtung der Charité und des Deutschen Herzzentrums Berlin. Hier arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Experten der kardiovaskulären Medizin unter Prof. Titus Kühne und der Biofluidmechanik unter PD Dr. Leonid Goubergrits mit den Forschern aus der bildbasierten Therapieunterstützung an neuen Lösungen für klinische Entscheidungsunterstützungssysteme. Hennemuth, seit 2009 Leiterin der kardiovaskulären Forschung und Entwicklung am Fraunhofer MEVIS, leistete Pionierarbeit in der Entwicklung von Lösungen zur kardiovaskulären Bildanalyse und bildbasierten Modellierung, die in Medizinprodukte überführt wurden. 2017 wurde sie schließlich auf eine Brückenprofessur am ICM und der Technischen Universität Berlin berufen.
Software soll helfen
Ihr Team entwickelt ein Softwaresystem, das die Chirurgen bei der Planung minimalinvasiver Herzklappen-OPs unterstützt. Eine der heute üblichen Operationsmethoden besteht darin, den Bereich, den die Herzklappe verschließen soll, durch das Einnähen eines speziellen Rings zu verkleinern. Das führt dazu, dass die Klappe nicht länger undicht ist und möglichst wenig Blut aus der Herzkammer in den Vorhof zurückfließt.
Die neue Software soll den Medizinern helfen, die Erfolgsaussichten eines solchen Eingriffs besser einschätzen und Art und Verlauf der OP genauer planen zu können. Am Anfang steht eine MRT-, CT- oder Ultraschalluntersuchung des Patienten, aus dessen Bilddaten die Experten ein dynamisches Herzmodell erstellen. Als Resultat lässt sich auf dem Bildschirm die Herzklappe in verschiedenen Phasen des Herzschlags betrachten. Für die Programmierung dieses Softwaremoduls erhielt Hennemuth-Mitarbeiter Lennart Tautz im April einen der Karl-Heinz-Höhne-Preise, verliehen für innovative Entwicklungen auf dem Gebiet der medizinischen Visualisierung.
Eingriff wird nachgebildet
In einer zweiten Stufe der Software lässt sich ein Eingriff nachbilden und ein Ring am virtuellen Herzen einnähen, der die Herzklappen-Insuffizienz beheben oder abmildern soll. „Anschließend simuliert das System, wie sich der Eingriff auf die Herzfunktion auswirkt“, erläutert Anja Hennemuth. „Dadurch lässt sich beurteilen, inwieweit das Herz leichter pumpen kann, weil das Blut durch das Einsetzen des Rings anders fließt.“ Letztlich können die Chirurgen verschiedenste Varianten des Eingriffs durchspielen, um am Ende die effektivste Möglichkeit zu identifizieren.
Ein Prototyp der Software ist fertig und wird derzeit validiert, d.h. mit realen Patientendaten abgeglichen. Hierbei verwenden die Forscher Bildaufnahmen, die vor und nach einem Eingriff gemacht wurden. Dann simulieren sie nachträglich den Eingriff und prüfen anschließend, inwieweit Simulation und Realität übereinstimmen.
Übertragung auf andere Herzeingriffe?
„Bislang sind die Ergebnisse sehr gut, die Chirurgen sind ausgesprochen zufrieden“, betont Hennemuth – und hofft, die neue Methode innerhalb einiger Jahre in ein Produkt umsetzen zu können. „Grundlage unserer erfolgreichen Arbeit ist die enge interdisziplinäre Kooperation von Fraunhofer MEVIS, Charité und dem Team von Prof. Volkmar Falk am Deutschen Herzzentrum Berlin.“ Für die Zukunft hat sich das Team vorgenommen, das neue Verfahren auch auf andere Arten von Herzeingriffen zu übertragen.
Ein weiteres vielversprechendes Projekt, das auf der CARS 2018 in Berlin diskutiert wird, ist eine neuartige Navigationsmethode für Gefäßkatheter, vorgestellt von MEVIS-Institutsleiter Horst Hahn. Zwar sind solche Kathetereingriffe minimalinvasiv und damit schonend und kostengünstig. Doch um die Kathetherspitze kontrolliert und sicher durch die Venengefäße zum Herzen zu führen, braucht es bislang mehrfache Kontrastmittelgabe und Röntgendurchleuchtung, die zudem mit einer Strahlenbelastung für die Patienten verbunden ist.
Belastende Bildgebung künftig vermeidbar?
Anders bei der neuen Methode, dem „Shape Sensing“: Hier verfügt der vordere Bereich des Katheters über Sensoren, die die jeweilige Krümmung des schlauchartigen Instruments erfassen können. Diese Messdaten werden in eine Software gespeist. Diese enthält ein detailliertes Modell des Gefäßsystems, rekonstruiert aus einer vorherigen Bildaufnahme des Patienten. Durch den Abgleich von Modell und Messwerten lässt sich genau errechnen, an welcher Stelle sich die Katheterspitze gerade befindet. Der Bedarf einer aufwändigen und belastenden Bildgebung wird – so die Hoffnung – dadurch drastisch reduziert, die Navigation aber trotzdem vereinfacht.
Seit den achtziger Jahren findet die internationale Konferenz CARS 2018 (“Computer Assisted Radiology and Surgery”) im Jahresturnus an verschiedenen Orten statt. Gastgeber der diesjährigen 32. Ausgabe ist Berlin. Zu der viertägigen Veranstaltung werden rund 700 Teilnehmer erwartet.
Quelle: Fraunhofer MEVIS
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