Schwer verlaufende Infektionskrankheiten „COVID-19, HIV/AIDS, Affenpocken“
Historie und Gegenwart von Infektionskranheiten
Norbert Ohler [1] schreibt in seiner beeindruckenden Monografie über „Sterben und Tod im Mittelalter“: „Über der Pest darf man andere Infektionskrankheiten nicht vergessen, die oft (noch) mehr Menschen das Leben kosteten, wenn sie auch weniger spektakulär auftraten. Manche Krankheiten waren im Mittelalter so genau bekannt, zum Teil aufgrund von Beschreibungen antiker Ärzte, dass man geeignete Vorkehrungen zum Schutz der Gesunden vor Ansteckung und Tod ergriff: Krankheitsverdächtige — zumal Fremde, Zugereiste — wurden zeitweilig abgesondert. Aussätzige mussten lebenslang in eigenen Leprosorien außerhalb der Siedlung wohnen, sich mit Klappern Gesunden gegenüber von weitem zu erkennen geben und oft auch besondere Kleidung tragen.“
Bis heute stellen Infektionserkrankungen jedoch die häufigste Todesursache beim Menschen dar; ein Faktum was viele vergessen. In Deutschland stieg nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit 2008 die Zahl der Todesfälle in den Jahren 2002 bis 2006 um 14 % an – trotz der ausgezeichneten medizinischen Versorgungsqualität hierzulande! 2006 starben über 40.000 Personen in Deutschland an einer Infektion. Die Pneumonie war die häufigste zum Tod führende Infektionserkrankung. Besonders bei Patienten, die sich in Langzeitpflege- oder Rehabilitationseinrichtungen befinden, ist die Gefahr einer Besiedelung mit (multiresistenten Erregern) und einer daraus resultierenden Infektion sehr hoch [2]. Welche Gründe dafür ursächlich sind, weiß niemand genau. Das Abfallen der Sterblichkeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich zu 40% auf Krankheiten, die durch die Luft übertragen, zu 21% auf Krankheiten, die durch das Wasser und die Ernährung übertragen werden, und zu 13% auf andere Infektionen zurückführen. Eine wesentliche Ursache liegt vermutlich in dem Verhalten des Infektionswirtes. Eine weitere These besagt, dass jeder Gesellschaftstyp seine für ihn charakteristischen Krankheiten hat und jede Zivilisation die ihr eigenen Krankheiten schafft; maligne und kardiovaskuläre Erkrankungen sind der Ausdruck unseres Zeitalters und haben dabei die Infektionskrankheiten weitgehend in der westlichen Welt verdrängt. Aufklärung und Kampf gegen Aberglauben, Verbesserung der Lebensbedingungen (Arbeit, Essen, Wohnen), Reinhaltung von Körper, Luft, Wasser, Speisen, Isolierung der Krankheitsverdächtigen, Erregernachweis, Insektenschutz, Schutzimpfung, Chemoprophylaxe und Chemotherapie sollten wir als weitere Ursachen für den erfreulichen Rückgang von Infektionskrankheiten aber nicht vergessen.
Besonders die antimikrobielle Chemotherapie, die auf den Erreger selbst als auch auf das Immunsystem einwirken kann, hat aber auch zu negativen Wandlungen der Infektionserreger beigetragen: pharmakabedingte Resistenzschädigungen mit Bakterienfloraaktivierung, meist im Magendarmkanal, und sekundären Infektionen des Organismus sind bei einigen der wichtigsten heutigen Pharmaka zu finden, so in den Antibiotika und Sulfonamiden, welche durch gezielte Eliminierung von pathogenen Erregern gleichzeitig auch zu Resistenzerzeugung in diesen Keimen führen und dann sekundär diesen und anderen krankmachenden Bakterien Gelegenheit zu infektiöser Erkrankung geben. Am bekanntesten sind dabei die Infektionen bei krankenhauserworbenen Erregern; Staphylokokken sind hier besonders zu nennen. Erkannt wurde aber auch, dass Fehler gemacht wurden: Über Jahrzehnte fühlten wir uns irrigerweise zu sicher und haben Antibiotika zu häufig und ungezielt appliziert. Seit über einem Vierteljahrhundert befinden wir uns nun in einem „antibiotischen Weltkrieg“ - Resistenzpandemie. Besonders grampositive Erreger wie Staphylokokken und Enterokokken, aber auch gramnegative Stäbchenbakterien, wie Klebsiella, Pseudomonas und Acinetobacter bereiten uns aktuell große infektiologische Probleme – besonders in den Kliniken. Die Hygiene – mit ihrer Zielsetzung, Krankheiten durch Veränderung des Milieus präventiv zu vermeiden – und die Strategie „Antibiotic Stewardship“ stellen gegenwärtig die bedeutenden Interventionen gegen die zunehmende Bedrohung durch antimikrobielle Resistenzen dar. Jahrzehntelang war das Primat der „Hygiene“ die Seuchenbekämpfung gewesen. Die aktuell gegebene Definition wird ihr aber nur sehr unvollkommen gerecht. Vor und neben der Bekämpfung von kontagiösen Infektionskrankheiten haben seit über 100 Jahren die Erkenntnisse gezeigt, dass die Gesundheit nicht nur durch die Infektion gefährdet und geschädigt werden kann. Die Hygiene von heute hat daher mehrere Funktionen, wie die Erhaltung und Schaffung einer gesunden Umwelt für Mensch und Tier [2-6].
Welche Infektionserkrankungen treten seit der Jahrtausendwende auf?
Ein Autorenteam aus den USA hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Infektionserkrankungen seit der Jahrtausendwende dort auftreten und besonders, welche Infektionen so schwer sind, dass eine Krankenhausaufnahme erforderlich ist. Die Untersuchung zeigt, dass pro 100.000 Einwohner in den USA pro Jahr 1.468 Personen wegen einer Infektionskrankheit hospitalisiert werden und dass von diesen ins Krankenhaus aufgenommenen Patienten 4,2 % versterben. Im Zeitverlauf über 14 Jahre hat sowohl die Hospitalisierungsrate wegen Infektionskrankheiten als auch die Todesrate stetig zugenommen. Im Folgenden wird die Analyse der Forscher aus den US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC, Atlanta, Georgia) zusammengefasst [5] und mit Einschätzungen aus Deutschland verglichen [6-8].
Methodik der Studie
In den USA werden alle Entlassungsdiagnosen von Patienten, die sich einer Krankenhausbehandlung unterziehen müssen, prospektiv in einem nationalen Datensatz gespeichert. Zuständig hierfür ist die nationale „Agentur für Gesundheitskosten und Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen“, die alle Daten sowohl gesetzlich versicherter als auch privat versicherter Patienten über die gesamten USA fortlaufend erfasst und elektronisch speichert. Die Diagnosen werden dabei mit dem International Classification of Disease-System (ICD9) kodiert. Die Datensätze sind jeweils anonymisiert, sodass individuelle Patientennamen nicht mehr im Nachhinein erkennbar sind. Alle Begleitkrankheiten und zuvor gestellten Diagnosen können jedoch dem einzelnen, anonymisierten Patienten zugeordnet werden. Neben den Erkrankungsdiagnosen, die zur Aufnahme führten, sind auch die demografischen Daten der Patienten und deren Wohnort hinterlegt. Für die aktuelle Auswertung wurden die Krankenhausdaten über den Zeitraum 2001 bis 2014 ausgewertet.
Ergebnisse
Im Zeitraum von 2001 bis 2014 wurden in den USA 64.070.733 Personen stationär behandelt, bei denen eine Infektionskrankheit als Hauptdiagnose bei der Entlassung angegeben wurde. Die daraus errechenbare mittlere Erkrankungsrate an hospitalisierungspflichtigen Infektionen lag bei 1.468,2 Infektionskrankheiten pro 100.000 Einwohner. Beim Vergleich der Hospitalisierungsraten zwischen dem Beginn (2001-2003) und dem Ende der Studie (2012-2014) zeigte sich eine Zunahme von 5 %, die statistisch signifikant war. Über den gesamten Erfassungszeitraum lag der Anteil der im Krankenhaus behandelten Patienten, die an einer Infektion als Hauptdiagnose verstarben, bei 4,2 %. Auch dieser Prozentsatz war vom Beginn des Studienzeitraums bis zum Ende der Studie signifikant gestiegen (Anstieg von 4,21 auf 4,3 %, p=0,049). Die häufigsten Einzeldiagnosen waren Pneumonien jeder Ätiologie (20,1 %), Bakteriämien (Sepsis) durch jede Art von Erregern (10,4 %), Harnwegsinfektionen (8,1 %), schwere Wundinfektionen einschließlich Abszesse der unteren Extremität (5,4 %), postoperative Wundinfektionen (2,9 %) und Infektionen durch den sporenbildenden Darmerreger Clostridioides difficile (1,9 %). Weitere 45,4 % aller Infektionsdiagnosen entfielen auf eine Vielzahl von Einzelproblemen, wie Infektionen des Leber- und Gallensystems, des Muskel- und Skelettsystems, dermatologische Infektionen, sowie spezielle Infektionen wie AIDS, Tuberkulose, parasitäre Infektionen oder spezielle Virusinfektionen. Die Inzidenzrate für jede Art von Virusinfektion lag im ersten Zeitraum von 2001 bis 2003 bei 118 Fällen/100.000 Einwohner, gegen Ende der Untersuchung in den Jahren 2012 bis 2014 war sie auf 102 Fälle/100.000 Einwohner abgesunken. Dieser Trend dürfte sich jetzt mit dem Aufkommen des SARS-CoV-2-Virus dramatisch geändert haben.
Mittlere Altersgruppe stark betroffen
Hinsichtlich des Erkrankungsalters waren in den 2000er-Jahren vor dem Auftreten von COVID-19 vor allem die hochbetagten Patienten im Alter von >85 Jahren sowie die Neugeborenen von unter <1 Jahr am stärksten betroffen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum kam es vor allem zu einer Zunahme von Infektionskrankheiten in der Altersgruppe zwischen 18 und 84 Jahren, während bei den Altersextremen keine Änderungen der Infektionshäufigkeit zu verzeichnen war. Besonders in der Gruppe zwischen 55 und 64 Jahren nahm das Risiko, an einer hospitalisierungspflichtigen Infektion zu erkranken, um den Faktor 1,3 zu, ebenso stieg auch das Risiko, an einer solchen Infektion zu versterben, von 3,3 auf 3,77 %. Dies ist ein für das Gesundheitswesen als Ganzes und für die US-amerikanische Volkswirtschaft sehr wesentlicher Befund, da die Menschen dieser Altersgruppe üblicherweise noch voll berufstätig sind und längere Krankheitsausfälle und Todesfälle wirtschaftlich nicht nur für die betroffene Familie, sondern auch für das ganze Gemeinwesen eine erhebliche Bedeutung haben.
Soziale Faktoren spielen eine Rolle
Welche Bedeutung soziale Faktoren für das Infektionsgeschehen haben, wird deutlich, wenn man die regionale Verteilung der Infektionen betrachtet. Am geringsten war die Rate der infektionsbedingten Krankenhausaufnahmen in den westlichen USA. Dies korrespondiert mit dem sehr hohen Lebensstandard und dem hohen Durchschnittseinkommen der Bewohner von Kalifornien, Oregon und dem Staat Washington mit seiner lebendigen Großstadt Seattle. In diesen Regionen leben viele Menschen in sehr guten Beschäftigungsverhältnissen, besitzen eigene Häuser und verfügen über Freizeit und Erholungsmöglichkeiten. Im Gegensatz dazu war der amerikanische Süden (Texas, Arizona, Louisiana) am stärksten von schweren Infektionsverläufen wie z. B. Pneumonien betroffen. Diese Regionen verfügen über weniger Industriestandorte, haben einen großen Anteil ländlicher Bevölkerung und sind bekanntermaßen auch von Wetterextremen stark betroffen. Aus den Medien bekannt sind die regelmäßigen Überschwemmungen von Louisiana und die Wirbelstürme des Südens und Südostens, die neben den dramatischen Folgen für die Menschen auch zu gesundheitlichen Problemen und einer Beeinträchtigung der allgemeinen Gesundheitsversorgung führen. Erfreulich war die Tatsache, dass in den gesamten USA die Hospitalisierungsraten für HIV und Tuberkulose über die Jahre deutlich zurückgingen, was auf eine frühere Diagnosestellung und ein verbessertes Management dieser Erkrankungen hinweist.
Schlussfolgerung der Autoren
Die Autoren mahnen eine stärkere Konzentration der Forschungsaktivitäten zur Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten an. Besonders die Bekämpfung respiratorischer Infektionen sehen sie als vordringlich an. Auch Infektionen, die zu einer Sepsis führen, sollten durch eine nationale Initiative zur verbesserten Sepsisprävention und zu einem strukturierten Sepsismanagement primär vermieden, aber auch qualifizierter behandelt werden können. Insgesamt zeigen die Daten, dass Infektionskrankheiten keinesfalls aussterben, sondern in der Gesamtbevölkerung langsam, aber signifikant zunehmen. Die Tatsache, dass vor allem Personen in der Altersgruppe zwischen 45 und 65 Jahren am stärksten von der Zunahme betroffen sind, weist auf die erheblichen sozialen und gesamtökonomischen Folgen von Infektionskrankheiten hin.
Infektionskrankheiten eine dauernde Herausforderung
Etwa ein Drittel der jährlich in der Welt zu beklagenden Todesfälle - rund 17 Millionen - sind auf Infektionen zurückzuführen. Dazu ist anzumerken: Die große Mehrzahl dieser tödlich verlaufenden Erkrankungen wird fast ausschließlich aus den Entwicklungsländern gemeldet, wo Todesfälle z.B. durch Malaria, Lungenentzündungen, Tuberkulose, AIDS, Masern oder Darminfektionen an der Tagesordnung sind. Aktuell zum 77-jährigen Kriegsende im Mai 1945 waren Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Typhus und Krätze die bedeutsamsten Infektionen in jener Zeit. Eine langjährige Mangelernährung, extreme seelische Belastungen und kräftezehrende körperliche Überanstrengungen hatten schon während der Kriegszeit die Disposition für Infektionskrankheiten geschaffen. Erschwerend kam hinzu, dass Ärzte, bakteriologische Untersuchungsämter, Schirmbildstellen zur Diagnostik einer Lungen-TBC, Mikroskope, Nährböden und Laborreagenzien, Pflegekräfte und vor allem Klinikbetten fehlten. Wirksame Medikamente, wie z.B. das neu eingeführte Penicillin im Jahre 1943 zur Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten, und auch Impfstoffe waren in Deutschland kaum vorhanden. Das Penicillin stand aber bis 1945 nur den Alliierten zur Verfügung, ehe es weltweit zum Einsatz kam. Dicht aufeinanderfolgend breiteten sich im 2. Halbjahr 1945 Sommerdiarrhoe, Ruhr, Typhus und Fleckfieber epidemisch aus. Heute erreichen Infektionskrankheiten in Europa selten epidemische oder gar pandemische Ausmaße: Verbesserung der hygienischen Verhältnisse, bessere Wohnverhältnisse, guter Ernährungsstatus, gezielte Schutzimpfungen, die Entwicklung von Antiinfektiva und ein funktionierendes Gesundheitswesen mit gut ausgebildeten medizinischen Fachkräften werden als Gründe dafür genannt.
*Affenpocken – eine neue infektiologische Bedrohung
Erworbene Affenpocken (MPX) wurden kürzlich in neun EU-Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Portugal, Spanien, Schweden und den Niederlanden) gemeldet. Aktuell hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Zahl der bestätigten Fälle von Affenpocken außerhalb des üblichen Verbreitungsraumes in West- und Zentralafrika mit etwa 200 beziffert. Mit Stand 30.5.2022 sind 21 Affenpockenfälle aus 6 Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) ans RKI übermittelt worden. Das Besondere an diesen Fällen ist, dass die Betroffenen zuvor nicht – wie sonst in der Vergangenheit – in afrikanische Länder gereist waren, in denen das Virus endemisch ist (West- und Zentralafrika), und dass viele Übertragungen offenbar im Rahmen von sexuellen Aktivitäten (aktuell besonders bei Männern, die sexuelle Kontakte mit anderen Männern hatten) erfolgt sein könnten. Soweit bekannt, erkranken die meisten Betroffenen nicht schwer. Eine Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland schätzt das RKI nach derzeitigen Erkenntnissen als gering ein. Affenpocken (Monkeypox [MPX]) verbreiten sich (nach derzeitigem Stand) nicht leicht zwischen Menschen. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt durch engen Kontakt mit infektiösem Material aus Hautläsionen einer infizierten Person, durch Atemtröpfchen bei längerem direkten Kontakt und durch Infektionsträger. Die Übertragung fand bei den aktuell betroffenen Personen vermutlich während des Geschlechtsverkehrs statt. Hiervon waren besonders homosexuelle Männer betroffen. Die meisten Patienten weisen jedoch nur leichte Krankheitssymptome auf. Im Gegensatz zu den seit 1980 ausgerotteten Menschenpocken (Variola) verlaufen Affenpocken in der Regel deutlich milder; die meisten Menschen erholen sich innerhalb von mehreren Wochen. Insgesamt ist die Prognose daher als günstig zu bewerten, allerdings können bei einigen Betroffenen auch schwere Verläufe auftreten. Nach Angaben der WHO haben etwa 3 - 6 % der gemeldeten Fälle in den letzten Jahren in Zentral- und Westafrika zum Tod geführt. Angesichts der Untererfassung (besonders bei milderen Verläufen) dürfte die Gesamtletalität darunter gelegen haben. Bei Kindern unter 16 Jahren, die mit der virulenteren zentralafrikanischen Virusvariante infiziert sind, beobachtete man in früheren Ausbrüchen eine Fallsterblichkeit von bis zu 11%. Die westafrikanische Variante scheint mit einer deutlich geringeren Fallsterblichkeit einherzugehen.
Erste Symptome der Krankheit sind Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Einige Tage nach dem Auftreten von Fieber entwickeln sich Hautveränderungen, welche simultan die Stadien vom Fleck bis zur Pustel (Macula, Papula, Vesikula und Pustula) durchlaufen und letztlich verkrusten und abfallen. Der Ausschlag konzentriert sich in der Regel auf Gesicht, Handflächen und Fußsohlen. Die Haut- und Schleimhautveränderungen können auch auf dem Mund, den Genitalien und den Augen gefunden werden. Bei einigen aktuell (Mai 2022) gemeldeten Fällen wurde auch ein Beginn der Effloreszenzen im Urogenital- und Anal-Bereich berichtet. Die Symptome halten in der Regel zwischen 2 und 4 Wochen an und verschwinden ohne Behandlung von selbst. Zu den Komplikationen in endemischen Ländern gehören Hirnentzündung, bakterielle Hautinfektionen, Flüssigkeitsverlust, Bindehaut-, Hornhaut- und Lungenentzündung. Über Verläufe bei immungeschwächten Patienten liegen nur wenige Informationen vor. Nach Angaben des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control, Stockholm) hatten beim Ausbruch in Nigeria im Jahr 2017 Patienten mit gleichzeitiger HIV-Infektion im Vergleich zu HIV-negativen Personen einen schwereren Krankheitsverlauf; mit mehr Hautläsionen und damit verbundenen Genitalgeschwüren. Schwere Krankheitsfolgen sind in der Regel entstellende Narben und bleibende Hornhautschäden bis hin zum Sehverlust.
In bestimmten Bevölkerungsgruppen kann das Affenpockenvirus (kleine Kinder, schwangere Frauen, immunsupprimierte Personen) jedoch schwere Erkrankungen verursachen. Die Wahrscheinlichkeit von Fällen mit schwerer Morbidität kann jedoch noch nicht genau abgeschätzt werden. Das Gesamtrisiko wird für Personen mit mehreren Sexualpartnern (einschließlich homosexueller Männer) noch als moderat und für die breitere Bevölkerung als gering eingeschätzt. Die Behandlung ist hauptsächlich symptomatisch und unterstützend, einschließlich der Prävention und Behandlung von sekundären bakteriellen Infektionen. Ein Pockenimpfstoff kann für die Postexpositionsprophylaxe von engen Kontaktpersonen mit erhöhtem Risiko für eine schwere Erkrankung in Betracht gezogen werden, jedoch sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung für die exponierte Person durchgeführt werden. Es fehlen wichtige Informationen zur Verwendung der derzeit verfügbaren Pockenimpfstoffe für Gruppen mit erhöhtem Risiko für schwere Erkrankungen.
Patienten mit Affenpocken sind zu isolieren, bis ihr Ausschlag vollständig abgeheilt ist. Ein enger Kontakt mit immunsupprimierten Personen und Haustieren ist zu vermeiden. Es wird auch empfohlen, auf sexuelle Aktivitäten und engen Körperkontakt zu verzichten, bis der Ausschlag abgeheilt ist. Die meisten Fälle können ambulant versorgt werden. Enge Kontaktpersonen von MPX-Fällen sollten sich bis zu 21 Tage nach dem letzten Kontakt mit einem Fall selbst auf die Entwicklung von Symptomen überwachen. Mitarbeiter des Gesundheitswesens sollten beim Screening von Verdachtsfällen oder bei der Betreuung eines MPX-Falls geeignete PSA (Handschuhe, wasserfester Kittel, FFP2-Atemschutzmaske) tragen. Das Laborpersonal sollte auch Vorkehrungen treffen, um eine berufliche Exposition zu vermeiden [12]. Das RKI hat dazu eine Orientierungshilfe für Ärztinnen und Ärzte zusammenfasst (Abbildung 1) [11]. Aktuell ist eine heftige Diskussion entbrannt: Es wird dabei unterstellt, dass es sich um eine vermeintlich afrikanische Infektionskrankheit oder angeblich ausschließlich um eine Krankheit homosexueller, promiskuitiver Männer handele. Mit der Bebilderung von Patienten mit Affenpocken haben die Medien, vielleicht unwissentlich, dafür gesorgt, dass die Affenpocken nur von Individuen mit schwarzer Haut in Verbindung stehen; der jüngste Affenpockenausbruch wurde 1997 aus Westafrika berichtet, wo die meisten Menschen mit dunkler Hautfarbe an der Infektionskrankheit litten.
Schlussbetrachtung
Mit der Zulassung gut verträglicher Breitbandantibiotika verbreitete sich die illusionäre Vorstellung, dass Infektionserreger für den Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts kein großes Problem mehr darstellen. Die heutige westliche Gesellschaft glaubt fest an den medizinischen Fortschritt, die die Erhaltung des Lebens und den Wunschtraum Unsterblichkeit erfüllen kann. Neue Infektionskrankheiten traten bei uns auf, deren Erreger gänzlich neu oder als „Exoten“ stark an tropische oder subtropische Gebiete gebunden waren. Davon sind sowohl der Mensch als auch Tiere betroffen. Die Ausbreitung der Jahrhundertinfektion AIDS-Pandemie, das Auftreten hämorrhagischer Fieber wie Ebola und schließlich die zu Anfang des neuen Jahrtausends aufkommenden viralen Erreger wie z.B. Schweinegrippevirus, Vogelgrippevirus oder MERS (middle east respiratory virus), COVID-19 und nun die Affenpocken* sind Belege dafür. Mit dem Auftreten der COVID-19-Infektion bzw. -Krankheit ist inzwischen klar geworden, dass die Vorstellung von einer Ausrottung der Infektionskrankheiten eine gefährliche Illusion war. Trotz der Entwicklung neuester Antibiotika, Impfstoffe und der Hightech-Medizin wird uns nun erneut vor Augen geführt: Infektionskrankheiten gehören nicht nur der Vergangenheit an, sondern bedeuten eine dauernde Herausforderung; auch in unserer hochtechnisierten Welt. Hilflosigkeit wird uns bewusst.
Wichtige Informationen des RKI:
Häusliche Isolierung bei bestätigter Affenpocken-Infektion (Stand: 27.5.2022): Flyer für Patient/-innen und Haushaltsangehörige
Literatur:
Autor
HARDY-THORSTEN PANKNIN
Badensche Straße 8B
D-10825 Berlin
Kontakt: ht.panknin@berlin.de
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