Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat in seinem Bericht erstmals die zusätzlichen Risiken der Fluorchinolonantibiotika im Vergleich zu anderen Antibiotika auf der Grundlage von Studienergebnissen hochgerechnet: Für die schätzungsweise 3,3 Millionen Patienten, die in Deutschland im Jahr 2018 im Rahmen von 3,5 Millionen Therapien mit Fluorchinolonen behandelt wurden, ist davon auszugehen, dass mehr als 40.000 Patienten zusätzlich von Nebenwirkungen wie einer Schädigung des Nervensystems, der Hauptschlagader oder einem Sehnenriss betroffen waren und sich 140 zusätzliche Todesfälle ereigneten.
Nach Berechnungen des WIdO haben 20,4 Millionen und damit mehr als jeder vierte GKV-Versicherte im Jahr 2018 mindestens einmal von ihrem Arzt eine Antibiotikaverordnung erhalten. Von den 310 Millionen verordneten Antibiotikatagesdosen des Jahres 2018 entfallen 8,2 Prozent (25,6 Millionen Tagesdosen) auf die Gruppe der Fluorchinolonantibiotika.
Trotz des seit 2011 zurückhaltenderen Verordnungsverhaltens der Ärzte wurden im Jahr 2018 nach Abschätzung auf Basis von AOK-Daten immer noch etwa 3,3 Millionen Patienten und damit fast 5 Prozent der mehr als 72 Millionen GKV-Versicherten mit diesen Wirkstoffen behandelt. Führend bei den Fluorchinolonen ist der Wirkstoff Ciprofloxacin mit fast zwei Dritteln der Verordnungen (64 Prozent).
140 zusätzliche Todesfälle im Jahr 2018
„Die hohe Zahl der Verordnungen lässt darauf schließen, dass Fluorchinolonantibiotika häufig nicht als Mittel der Reserve und auch nicht ausschließlich bei schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Infektionen zum Einsatz kommen“, so Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO. „Und das, obwohl Fluorchinolone weltweit als Reserveantibiotika gelten, also erst nach Versagen anderer Alternativen und für lebensrettende Maßnahmen zur Anwendung kommen sollten. Und schon gar nicht bei leichteren Erkrankungen wie einfachen Erkältungen, die meist, gemäß den ärztlichen Behandlungsleitlinien, überhaupt nicht mit Antibiotika behandelt werden sollten. Damit kann eine Resistenzentwicklung verhindert werden und die Wirksamkeit der Reserveantibiotika wird nicht gefährdet.“
Das WIdO hat mit Unterstützung von Prof. Dr. Winfried V. Kern vom Zentrum Infektionsmedizin am Universitätsklinikum Freiburg auf der Basis medizinischer Berichte zu unerwünschten Wirkungen dieser Arzneimittel eine Abschätzung vorgenommen, wie viele Patienten in Deutschland dem zusätzlichen Risiko für bestimmte Fluorchinolon-assoziierte Nebenwirkungen ausgesetzt waren. Diese Schätzungen ergeben, dass im Vergleich mit anderen Antibiotika unter je 100.000 Fluorchinolonanwendern zusätzlich 1.161 Nebenwirkungen des Nervensystems (vor allem Verwirrtheit und Unruhe), 33 Sehnenrupturen (Sehnenrisse), 8 Aortenaneurysmen (Gefäßschädigungen der Hauptschlagader) sowie vier kardiovaskuläre Todesfälle auftreten können.
Unterstellt man, dass eine der oben aufgeführten Nebenwirkungen prinzipiell bei der Einnahme jeder Packung auftreten kann, würde dies für 2018 bei 3,5 Millionen Arzneimittelfällen einer Zahl von mehr als 40.000 solcher Nebenwirkungen entsprechen, die bei Antibiotikaverzicht oder Einsatz eines anderen Antibiotikums nicht vorgekommen wären. In diesen Berechnungen sind eine große Anzahl von weiteren Komplikationen, zum Beispiel Hyperglykämien bei Diabetikern, nicht berücksichtigt. Darüber hinaus kann nach diesen Ergebnissen von bis zu 140 zusätzlichen Todesfällen im Jahr 2018 ausgegangen werden.
Quelle: WIdO, 23.05.2019
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