Pirola, FLiRT und Co.
Erst nachdem die Weltgesundheitsorganisation im Mai 2023 den internationalen Gesundheitsnotstand für beendet erklärte, hoben auch die nationalen Regierungen alle Verbote und Einschränkungen auf (teilweise auch schon vorher). Seither, so hat man den Eindruck, kommt es zu einem geradezu überbordenden Nachholeffekt. Ereignisse wie die Fußball-Europameisterschaft oder Auftritte internationaler Popstars ziehen ein Massenpublikum an. Die mediterranen Länder berichten über einen Übertourismus, der die Toleranz der Lokalbevölkerung bis an die Belastungsgrenze strapaziert.
Unterschwellige Zunahme von SARS-CoV-2
SARS-CoV-2 zirkuliert jedoch weiterhin unterschwellig in der Bevölkerung. Aktuelle Zahlen aus dem Nationalen Referenzzentrum des Robert Koch-Instituts belegen sogar wieder einen leichten Aufwärtstrend der SARS-CoV-2-Nachweise [1]. Von insgesamt 4.662 Atemwegsproben, aus denen seit der 40. Kalenderwoche 2023 ein Virusnachweis geführt werden konnte, waren 799 (17,1 %) positiv für SARS-CoV-2. Damit lag das Virus nur knapp hinter dem zirkulierenden Grippevirus A (H1N1) (1.128 Nachweise) und vor dem Respiratorischen Syncytialvirus (RSV, 559 Nachweise). Auch die in vielen Städten durchgeführten Abwasseranalysen zeigen eine deutliche Zunahme der ins Abwasser gelangten Coronaviren (SARS-CoV-2, www.rki.de/abwassersurveillance; Stand 17. Juli 2024). Ursache für die wieder verstärkte Ausbreitung sind neue Subvarianten der bekannten Omikron-Variante des Virus.
Die neuen Virusmutanten
Daten der molekularbiologischen Forschung zeigen, dass sich SARS-CoV-2 immer rascher an den menschlichen Wirt anpasst. In den USA sind aktuell bereits 60–70 % der Neufälle von COVID-19 durch die sogenannten FLiRT-Varianten ausgelöst [2]. Diese zunächst „locker und lustig“ daherkommende Kurzbezeichnung ist eine Abkürzung für die wissenschaftliche Bezeichnung von 2 neuen Mutationen am Spike-Protein des Virus; Letzteres dient dem Virus bekanntermaßen als Bindeprotein zum Andocken an die Bronchialepithelzellen. Die Mutationen gingen aus der bereits zuvor zirkulierenden SLip-Variante hervor. Der Austausch einzelner Basen im Gen des Spike-Proteins führt zum Austausch von Aminosäuren an der Bindungsstelle des Spike-Proteins. Die Festigkeit der Bindung an die Atemwegsepithelien wird dadurch zwar geringer, das Virus erzielt jedoch andere Vorteile. Ein Teil der eingedrungenen Viren wird nicht in die Bronchialepithelzellen aufgenommen und kann diese daher nicht zerstören. Die klinische Erkrankung der infizierten Person verläuft dadurch milder. Für das Virus ist dies ein evolutionärer Vorteil. Ein Patient, der intubiert und sediert auf der Intensivstation liegt, ist für das Virus eine Sackgasse. Dagegen können die Viren, die nicht fest an die Bronchialepithelien binden, von den eher leichtgradig erkrankten Patienten wieder ausgehustet und damit auf den nächsten „Wirt“ übertragen werden (Abbildung 1).
DOI: 10.53180/MTIMDIALOG.2024.0664
Entnommen aus MT im Dialog 9/2024
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