Mit Bakterien gegen Viren?

Neue Wirkstoffe gefunden
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Bakterielle Wirkstoffe gegen Viren einsetzen
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Der Kampf gegen virale Erreger könnte in eine neue Runde gehen. Wissenschaftler/-innen haben zwei neue Naturstoffklassen mit Wirksamkeit gegen RNA-Viren entdeckt.

Die jüngste Pandemie durch SARS-CoV-2 hat abermals auf schmerzliche Weise gezeigt, dass die Entwicklung effektiver Wirkstoffe gegen virale Krankheitserreger von großer Bedeutung für die globale Gesundheit ist. Bis zum 10.3.23 hatte Johns Hopkins weltweit über 6,8 Mio. Tote durch die Pandemie erfasst. Obwohl für zahlreiche Viruserkrankungen wirksame Impfstoffe zur Verfügung stehen, besteht ein dringender Bedarf an neuen und effektiven Therapiemöglichkeiten. Am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) erforscht das Team um Prof. Rolf Müller neue Wirkstoffe zur Behandlung von Infektionen. In ihren neuesten Studien konnten die Forscherinnen und Forscher gleich zwei neue Naturstofffamilien mit vielversprechender Aktivität gegen Viren identifizieren.

Naturstoffe aus Bodenbakterien

SARS-CoV-2 ist jedoch bei weitem nicht das einzige humanpathogene RNA-Virus mit hoher wirtschaftlicher und sozialer Relevanz. Daher ist, besonders auch im Hinblick auf mögliche virale Pandemien in der Zukunft, die Identifizierung neuer Wirkstoffe mit breiter Wirksamkeit gegen neu auftretende virale Infektionserreger von größter Bedeutung. Das Team um Rolf Müller forscht am HIPS seit vielen Jahren erfolgreich an antibakteriellen Naturstoffen, die aus Bodenbakterien isoliert werden. Hierbei sind insbesondere die seit Jahrzehnten genutzten Aktinobakterien sowie die bislang noch deutlich weniger erforschten Myxobakterien wertvolle Quellen für neue Naturprodukte. Das HIPS ist ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes.

Zwei Wirkstofffamilien mit antiviraler Aktivität

Den Forscherinnen und Forschern gelang es nun, gleich zwei Wirkstofffamilien mit antiviraler Aktivität aus den versierten Naturstoffproduzenten zu isolieren: die Persicamidine und die Thiamyxine. Während die Persicamidine aus einem neu entdeckten Stamm der Aktinobakterien isoliert wurden, stammen die Thiamyxine aus einem Myxobakterienstamm, der von Wissenschaftlern des HIPS in der unmittelbaren Nähe des Instituts gefunden wurde. Im Rahmen des Bürgerwissenschaftsprojekts „Die Mikrobielle Schatzkiste“ konnte die Stammsammlung des HIPS sogar um circa 1.000 neue Myxobakterien erweitert werden, welche aus bisher über 700 eingesendeten Bodenproben isoliert werden konnten (mehr Infos gibt es hier).

Starke Hemmung von RNA-Viren

Beide oben genannten Bakterienfamilien sind bekannte Naturstoffproduzenten, insbesondere für Antibiotika. In den jetzt veröffentlichen Studien nutzen die Wissenschaftler/-innen des HIPS in Kooperation mit den Virusspezialisten der Arbeitsgruppen von Prof. Thomas Pietschmann am TWINCORE und Prof. Ralf Bartenschlager am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) ihre langjährige Erfahrung und Expertise auf dem Gebiet der Antibiotikaforschung, um die neuen Naturstoffe zu isolieren und hinsichtlich antiviraler Wirksamkeit genauer zu untersuchen.

Die beiden Naturstofffamilien zeigen strukturelle Besonderheiten, die im Falle der Persicamidine umfangreiche Strukturanalysen notwendig machten. Für die Thiamyxine sei es gelungen, durch sogenannte Fütterungsexperimente mit speziell markierten Vorläufersubstanzen zusätzlich sogar ein Biosynthesemodell zu beschreiben. Für beide neu entdeckten Naturstofffamilien haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine starke Hemmung von RNA-Viren in Corona-, Zika- und Dengue-Virusinfektionsmodellen nachgewiesen. Im Falle der Persicamidine seien die Aktivitäten gegen SARS-CoV-2 und hCoV-229E sogar in etwa vergleichbar mit dem bedingt zugelassenen Medikament Remdesivir, das für die Behandlung von COVID-19 eingesetzt wird.

Lösung direkt vor der Haustür?

„Das Problem der antimikrobiellen Resistenz und die Suche nach neuen Antibiotika sind der eigentliche Kern unserer Forschung. Die COVID-19-Pandemie hat uns aber eindrücklich daran erinnert, wie wichtig auch die Entwicklung antiviraler Wirkstoffe ist. Deshalb wollen wir künftig unsere Expertise sowohl für die Entwicklung von Wirkstoffen gegen bakterielle als auch gegen virale Infektionen nutzen. Im Fall der Persicamidine sehen wir, dass der Ursprung für die Lösung globaler Probleme in manchen Fällen sogar direkt vor unserer Haustür liegt“, sagt Rolf Müller, Geschäftsführender Direktor des HIPS, Leiter der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe und Koordinator des Forschungsbereichs Neue Antibiotika im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF).

Optimierung der Produktion nötig

Die Wissenschaftler/-innen betonen, dass die neuen Naturstoffklassen aufgrund ihrer guten antiviralen Aktivitäten vielversprechende Startpunkte für die Entwicklung zukünftiger Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 und andere RNA-Viren darstellen können. Eine biotechnologische Optimierung der Produktion oder die Entwicklung einer chemischen Syntheseroute seien zudem wegen der vergleichsweise geringen Produktionsraten der Thiamyxine jetzt von großem Interesse, um den Naturstoff in ausreichenden Mengen für weitere Analysen zur Verfügung zu stellen. In Folgestudien wollen die Forscherinnen und Forscher die Wirkmechanismen der beiden neuen Naturstofffamilien untersuchen, deren Aufklärung ein weiterer Schritt hin zur Entwicklung antiviraler Wirkstoffe sein könnte.

Am TWINCORE arbeiten Grundlagenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen gemeinsam mit Medizinerinnen und Medizinern Seite an Seite in der Infektionsforschung. Unser Schwerpunkt liegt auf der translationalen Forschung, also der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und der klinischen Anwendung. Das TWINCORE wurde im Jahr 2008 gemeinsam vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gegründet.

Literatur:
Haack PA, Harmrolfs K, Bader CD, et al. (2022): Thiamyxins: Structure and Biosynthesis of Myxobacterial RNA-Virus Inhibitors, Angew. Chem. Int. Ed., e202212946.

Keller L, Oueis E, Kaur A, et al. (2023): Persicamidines—Unprecedented Sesquarterpenoids with Potent Antiviral Bioactivity against Coronaviruses, Angew. Chem. Int. Ed., e202214595.

Quelle: idw/HZI

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