Werden Kinder mit Fehlbildungen im Harnwegssystem geboren, dann sind sie entweder von der Dialyse abhängig oder brauchen eine Nierentransplantation. Die genetische Ursache für die Entstehung dieser angeborenen Nierenanomalien, die auch „kongenitale Anomalien der Nieren und ableitenden Harnwege“ (CAKUT) genannt werden, ist bisher nur bei einem Bruchteil der Patienten bekannt.
Wissenschaftler aus fünf Abteilungen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) konnten nun neue Erkenntnisse gewinnen und veröffentlichen. Sie fanden heraus, dass Veränderungen des Gens TBC1D1 an der CAKUT-Entstehung beteiligt sind.
„Das Produkt des Gens spielt im Zuckerstoffwechsel eine Rolle und möglicherweise im ‚Ret-Signalweg‘, der die Nierenentwicklung beeinflusst“, erläutert Professorin Dr. Ruthild Weber. Die Teamleiterin im MHH-Institut für Humangenetik war bei dem Projekt und der Publikation federführend. Erstautoren sind Dr. Anne Kosfeld und Dr. Martin Kreuzer. „Die MHH bietet das ideale Umfeld zur Durchführung eines solchen Projekts, weil sie das größte Nierentransplantationszentrum für Kinder in Deutschland ist und auch weltweit in diesem Bereich eine Rolle spielt“, sagt Professor Dr. Dieter Haffner, Direktor der MHH-Klinik für Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen.
Sein Team hat für dieses Projekt in den vergangenen drei Jahren Blutproben und klinische Daten von mehr als 100 Kindern mit CAKUT gesammelt, sodass die Humangenetiker die kodierenden Bereiche des Genoms (die Exome) mit der Methode des „Next Generation Sequencing“ untersuchen und die vielen Daten auswerten konnten.
Langfristig Verbesserung der Therapien bei CAKUT-Patienten?
„Ein Kandidatengen zu identifizieren ist erst der Anfang. Anschließend müssen das Gen und die gefundenen genetischen Veränderungen charakterisiert werden“, erläutert Professorin Weber. Dafür habe das Team von Professor Dr. Andreas Kispert vom Institut für Molekularbiologie, das seit Jahren die Entwicklung der Nieren- und Harnleiter im Mausmodell erforscht, entscheidende Beiträge geleistet. Privatdozent Dr. Jan Hinrich Bräsen vom Institut für Pathologie sowie Professor Dr. Michael Klintschar vom Institut für Rechtsmedizin steuerten wichtiges Untersuchungsmaterial und Expertise bei, auch Wissenschaftler aus Düsseldorf, Erlangen und Paris arbeiteten an diesem von der Else Kröner-Fresenius-Stiftung großzügig finanziell unterstützten Projekt mit.
Mit dem neuen Wissen haben wiederum die Kinderärzte CAKUT-Patienten und deren Angehörige nachuntersucht. Sie haben dabei besonders auf den Zuckerstoffwechsel geachtet, da das Gen TBC1D1 dort auch eine Rolle spielt. „So konnten wir einen Bogen von der Grundlagenforschung zur Anwendung in der Krankenversorgung spannen“, sagt Professorin Weber. Langfristig erhoffen sich die Wissenschaftler, dass die nun gewonnenen Erkenntnisse der Verbesserung von Therapien bei neudiagnostizierten CAKUT-Patienten dienen.
Das Ergebnis ist das erste erfolgreiche Projekt des vor einem Jahr gegründeten interdisziplinären „Zentrums für angeborene Nierenerkrankungen“ der MHH, in dem Patienten jeden Alters mit angeborenen und ererbten Nierenerkrankungen betreut werden. Es gehört zum „Zentrum für seltene Erkrankungen“ (ZSE) der MHH und hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, neue Erkenntnisse über die genetischen CAKUT-Ursachen zu gewinnen. (idw, red)
Anne Kosfeld , Martin Kreuzer , Christoph Daniel, Frank Brand et al.: Whole-exome sequencing identifies mutations of TBC1D1 encoding a Rab-GTPase-activating protein in patients with congenital anomalies of the kidneys and urinary tract (CAKUT). Human Genetics, January 2016, 135 (1), 69-87
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