Magnetospirillum zur Mikrobe des Jahres 2019 gekürt

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Magnetospirillum gryphiswaldense
Magnetospirillum gryphiswaldense in Teilung, mit Magnetitkristallen (rot) und dem speziellen Cytoskelett (grün) © M. Toro-Nahulepan/ J. Plitzko
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Magnetische Bakterien leben in Tümpeln und Meeren. Eine Kette winziger Magnete hilft ihnen bei der Orientierung im Wasser. Faszinierende Studien an Magnetospirillum liefern Grundlagen für die Erforschung des Magnetsinns bei Tieren und dienen als Modell für die Biosynthese kleiner Organellen.

Mit modernen Methoden verleihen die Forscher den winzigen Magneten zusätzliche Eigenschaften für technische und medizinische Anwendungen, die synthetische Nanopartikel übertreffen. Ein magnetisches Bakterium? Mit dieser Entdeckung stieß der Italiener Salvatore Bellini 1963 auf Unglauben. Doch mit der Verbreitung des Elektronenmikroskops bestätigte Richard Blakemore zwölf Jahre später seine faszinierenden Beobachtungen: In Schlammproben sah er Mikroorganismen mit Ketten magnetischer Kristalle. Sie richten sich wie eine Kompassnadel im magnetischen Feld aus.

Ketten aus 15 bis 30 Eisenoxid-Kristallen

Spezielle Enzyme transportieren Eisenionen aus der Umgebung in die Bakterienzelle. Es bilden sich Ketten aus 15 bis 30 Eisenoxid-Kristallen, die zusammen als Magnet wirken. Ein Zellskelett aus langen Proteinfäden, ähnlich aufgebaut wie unsere Muskeln, hält die Kristalle in der Zellmitte und sortiert sie bei der Zellteilung gleichmäßig.

Zusammen mit einem Sauerstoffsensor orientieren sich die Bakterien so im Wasser: Sie suchen gezielt Schichten mit dem für sie geeigneten geringen Sauerstoffgehalt auf. Die magnetischen Pole der Erde helfen ihnen, sich in der richtigen Wassertiefe auszurichten. Dank der detaillierten Erkenntnisse zur Biosynthese und Funktion der Magnetosomen gilt Magnetospirillum mittlerweile als wichtiger Modellorganismus für die Bildung bakterieller Organellen.

Interessant für MRT?

Für Biotechnologie und Medizin bietet Magnetospirillum zudem faszinierende Möglichkeiten: Die winzigen Magnete haben eine einheitliche Größe, Form und hohe Magnetisierung, die synthetische Nanopartikel nicht erreichen. Fremde Moleküle, gekoppelt an die Magnetosomenpartikel können ihnen zusätzliche nützliche Eigenschaften verleihen. In Laborversuchen übertreffen isolierte Magnetosomen die Wirksamkeit kommerzieller magnetischer Kontrastmittel deutlich; dies macht sie für die Magnetresonanztomografie (MRT) oder Bildgebungsverfahren in Forschung und medizinischer Diagnostik interessant. Magnetosomen erzeugen zudem in Zellen oder Geweben Wärme, wenn ein starkes Magnetfeld angelegt wird – in Tierversuchen ließen sich damit Tumoren verkleinern. Forscher konnten den kompletten Biosyntheseweg aus Magnetospirillum in fremde Bakterien übertragen. So lassen sich möglicherweise Zellen künstlich magnetisieren und entsprechend „steuern“.

INTERVIEW

Magnetospirillum-Forscher der ersten Stunde

Fragen an Prof. Dr. Dirk Schüler, Universität Bayreuth

Wie entdeckten sie 1990 das Bakterium Magnetospirillum gryphiswaldense?

Aus Schlamm eines kleinen Flusses isolierte ich als Student im Greifswalder Labor von Manfred Köhler dieses unbekannte, damals schwer zu züchtende Bakterium. Als glückliche Fügung erwies sich zeitgleich der Fall der Mauer: Im Münchner Labor von Karl-Heinz Schleifer und Rudolf Amann untersuchten wir mit modernen Methoden das neuentdeckte Bakterium. Es wurde namensgebend für die Gattung Magnetospirillum.

Was fasziniert Sie an Magnetospirillum?

Immer noch, Magnetospirillen unter dem Mikroskop magnetisch einheitlich ausgerichtet umherflitzen zu sehen! Faszinierend sind aber vor allem unsere Entdeckungen: So ist der „Magnet“, eine Kette aus Kristallen, komplizierter aufgebaut als vermutet. Unerwartet viele Gene sind an der Synthese und Anordnung der Magnetosomen beteiligt - eine der kompliziertesten Strukturen, die wir aus Bakterien kennen.

Wieso haben die Bakterien eine schraubenförmige Gestalt?

Wahrscheinlich können sie sich im Bodensediment von natürlichen Gewässern damit rotierend fortbewegend. Es ist auch erstaunlich, wie sie die Magnetkette in ihrem gewundenen Zellkörper verankern. Erst kürzlich haben wir gelernt, dass sie dafür ein besonderes Zellskelett nutzen.

Welchen Vorteil hat die Magnetotaxis für (Mikro-)Organismen?

Die Bakterien leben in tieferen sauerstoffarmen Sedimentschichten. Mit der Ausrichtung am Erdmagnetfeld können sie dem ebenfalls von oben nach unten verlaufenden Sauerstoff-Gefälle besonders leicht folgen. Entlang dieser magnetischen „Schiene“ schwimmend erspüren sie mit Hilfe von Sensorproteinen exakt die Position mit der für sie optimalen, niedrigen Sauerstoffkonzentration.

Nützen diese Erkenntnisse auch der Erforschung des Magnetsinns von Tieren?

Zugvögel, Lachse oder Meeresschildkröten orientieren sich ebenfalls im Erdmagnetfeld. Der tierische Magnetfeldsensor ist aber noch unbekannt. Möglicherweise spielen ähnlich wie bei Bakterien winzige Kristalle eines Eisenminerals eine Rolle - neben zusätzlichen, noch unerforschten Mechanismen.

Können Laien magnetotaktische Bakterien finden?

Das ist nicht schwer: Im Gartenteich oder flachen Tümpel finden sich viele verschiedene Arten: Stäbchen, Kugeln, Spiralen. Mit einem Phasenkontrastmikroskop, das wenigstens 100fach, besser 400fach vergrößert, betrachtet man den Rand eines Schlammtropfens, an den man einen kleinen Stabmagneten hält. Magnetbakterien schwimmen hartnäckig in eine Richtung und sammeln sich am Tropfenrand des magnetischen Südpols. Dreht man den Magneten um, wenden auch die Bakterien.

Welche Anwendungen erhoffen Sie sich von Magnetospirillum?

Wir wollen die biologischen Prozesse verstehen, die zur Bildung der Magnetosomen führen. Deren Materialeigenschaften sind in der DNA-Sequenz der Bakterien verankert. Gentechnisch lassen sich Größe, Form und Magnetisierung ändern. Mit fremden Genen bringen wir die Bakterien dazu, Magnetpartikel mit neuen Eigenschaften zu produzieren: interessante Enzymaktivitäten, Antikörper oder größere geordnete magnetische Strukturen. Dies ist für technische oder biomedizinische Anwendungen von Interesse. Andere Forscher versuchen sogar, lebende Magnetbakterien als Mikroroboter zu verwenden, die sie mit Medikamenten beladen und dann magnetisch gesteuert an den Wirkungsort im Körper, etwa zu Tumoren bringen wollen.

Die Fragen stellte Anja Störiko (VAAM)

Quelle: Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e.V.

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