Das System erfasst die elektrischen Gehirnimpulse des Fahrers, übersetzt sie in Steuerungsbefehle und bewegt somit einen Elektrorollstuhl – und zwar so, wie es sich der Fahrer zuvor vorgestellt hat. Die ersten Patienten haben das Training mit dem BCI-System bereits erfolgreich absolviert: Anschließend waren sie in der Lage, einen Parcours mit verschiedenen Richtungswechseln und Hindernissen erfolgreich im Rollstuhl zu befahren.
„Als BG Klinik sind hochinnovative Forschung und die Suche nach neuen Therapieoptionen für schwerstverletzte Patienten für uns von zentraler Bedeutung", sagt Prof. Dr. Thomas A. Schildhauer, Ärztlicher Direktor des Bergmannsheils und Direktor der Chirurgischen Klinik. "Wir haben bereits vor Jahren damit begonnen, den therapeutischen Nutzen des HAL-Exoskeletts für die Rehabilitation querschnittgelähmter Menschen zu erforschen. Dank der Kooperation mit der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) können wir mit dem Brain-Computer-Interface-Projekt jetzt ein weiteres hochspannendes Forschungsfeld erschließen, das künftig die Medizin revolutionieren wird.“
Damit das Brain-Machine-Interface Gehirnimpulse in Steuerungsbefehle übersetzen kann, wird dem Anwender zunächst eine Enzephalografie-Haube (EEG) auf den Kopf gesetzt. So kann die elektrische Hirnaktivität des Anwenders gemessen werden. Dann müssen Mensch und Maschine in einem Training voneinander lernen, welcher Impuls mit welcher Bewegungsidee verknüpft ist, um später auf diese Weise miteinander kommunizieren zu können.
Das BCI-System lernt, die vorgestellte Bewegung zu erfassen
Im ersten Schritt erfasst das BCI-System die elektrischen Gehirnsignale im Ruhezustand des Patienten. Im zweiten Schritt stellt sich der Patient bestimmte Bewegungsmuster vor, beispielsweise das Bewegen der Hände oder der Füße. Diese Bewegungsvorstellungen aktivieren unterschiedliche anatomische Regionen im Bereich des Bewegungszentrums des Gehirns.
Das System gleicht die unterschiedlichen Aktivitätsmuster des Ruhezustandes und die Aktivitätsmuster der jeweiligen Bewegungsideen miteinander ab. So „lernt“ das BCI-System, die vorgestellte Bewegung zu erfassen und sie in einen Steuerungsbefehl zu übersetzen. Wenn der Anwender sich vorstellt, er bewege seine Hände, fährt der Rollstuhl nach rechts, denkt er an eine Bewegung der Füße, fährt er nach links. Denkt er weder an das eine noch das andere, fährt der Rollstuhl geradeaus.
Um die Sicherheit des Fahrers zu gewährleisten, kann der Rollstuhl im Bedarfsfall selbst stoppen. Dies funktioniert dank künstlicher Intelligenz. An der Vorderseite des Rollstuhls befinden sich eine Infrarot-Kamera und ein Laserscanner. Diese Systeme generieren zwei 3-D-Karten, die miteinander verknüpft werden. Die eine beschreibt die beabsichtigte Route, die andere erfasst die Hindernisse, die sich auf der Zielroute befinden. Wenn der Fahrer auf ein Hindernis zusteuert und eine Kollision droht, stoppt der Rollstuhl von selbst.
Ein großes Stück Selbstbestimmung und Mobilität
„Noch ist unser Projekt reine Grundlagenforschung“, erklärt Prof. Dr. Ramón Martínez-Olivera vom Bergmannsheil. „In Zukunft aber könnten querschnittgelähmte Menschen, die weder Beine noch Arme bewegen können, mit einem solchen System ein großes Stück Selbstbestimmung und Mobilität zurückgewinnen. Auch neue Rehabilitationsmöglichkeiten für Patienten mit Lähmungen werden mit BCI-Systemen untersucht.“ Dr. Luca Tonin, Technische Hochschule Lausanne, ergänzt: „Unsere Ergebnisse verdeutlichen das enorme Potenzial solcher Brain-Computer-Schnittstellen. Dabei bietet uns die klinisch-wissenschaftliche Kooperation mit dem Bergmannsheil die Möglichkeit, unser BCI-System in einer realitätsnahen Anwendungssituation mit betroffenen Menschen erproben und entwickeln zu können.“
Das Projekt wird durchgeführt von einer internationalen Arbeitsgruppe der Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), CNBI – Defitech Chair in Brain-Machine Interface (Prof. Dr. José del R. Millán, Dr. Luca Tonin), und dem BG Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum (Chirurgische Klinik: Prof. Dr. Thomas A. Schildhauer, Abteilung für Neurochirurgie und Neurotraumatologie: Prof. Dr. Ramón Martínez-Olivera, Abteilung für Rückenmarkverletzte: Dr. Mirko Aach).
Quelle: Bergmannsheil, 17.06.2019
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