COVID-19: Diskussion der richtigen Maßnahmen

Analyse des Epidemie-Verlaufs
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Modell Coronavirus
Modell Coronavirus Alissa Eckert, Dan Higgins, CDC
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Die Diskussion über die „richtigen“ und rechtzeitigen Maßnahmen gegen COVID-19 hat gerade erst begonnen. Helfen bei der Beurteilung kann eine Analyse eines Göttinger Teams, das den Epidemie-Verlauf in Deutschland genauer untersucht hat.

Seit Anfang März war das öffentliche Leben in Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie stark eingeschränkt. Nach dem erfreulichen Rückgang der COVID-19-Neuerkrankungen gewinnt auch die Debatte über die Wirksamkeit der bisher getroffenen Maßnahmen sowie über weitere Lockerungen an Fahrt. Forschenden vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) sowie der Universität Göttingen ist es nun gelungen, die deutschen COVID-19-Fallzahlen im Hinblick auf die Maßnahmen zu analysieren und daraus Szenarien für die kommenden Wochen abzuleiten. Ihre Computermodelle könnten auch Einblicke in die Effektivität der Maßnahmen in anderen Ländern liefern.

Wie gut haben die Maßnahmen gewirkt?

Viele Menschen treibt derzeit die Frage um, wie gut die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in den vergangenen Wochen gewirkt haben, und wie es in den kommenden Wochen weitergehen wird. Diesen Fragen sind auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation nachgegangen. Das Team simuliert seit Mitte März gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Göttingen Campus den Verlauf der Corona-Epidemie in Deutschland. In ihren Modellrechnungen setzen die Forschenden die nach und nach greifenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens im März mit der Entwicklung der COVID-19-Fallzahlen in Bezug. Insbesondere haben sie die Wirkung der drei Maßnahmenpakete im März untersucht: Die Absagen großer öffentlicher Veranstaltungen um den 8. März, die Schließungen von Bildungseinrichtungen und vielen Geschäften am 16. März und die weitreichende Kontaktsperre am 22. März.

Ausbreitung gebremst und das exponentielle Wachstum gebrochen

Dazu kombinierten die Forschenden Daten über den zeitlichen Verlauf der COVID-19 Neuerkrankungen mit einem Modell für Epidemiedynamik, das es erlaubt, den bisherigen Pandemieverlauf zu analysieren und Szenarien für die Zukunft zu untersuchen. Den Computermodellen zu Folge haben die Maßnahmenpakete die COVID-19 Ausbreitung zunächst gebremst und das gefürchtete exponentielle Wachstum schließlich gebrochen. „Unsere Analyse zeigt deutlich die Wirkung der unterschiedlichen Maßnahmen, die letztendlich gemeinsam eine starke Trendwende gebracht haben“, so Dr. Viola Priesemann, Forschungsgruppenleiterin am MPIDS. Dr. Michael Wilczek, ebenfalls Forschungsgruppenleiter und Mitautor der Studie, fügt hinzu: „Unsere Modellrechnungen zeigen uns damit insgesamt den Effekt der Verhaltensänderung der Menschen, die mit den Maßnahmen einhergeht.“

Auf andere Länder und Regionen übertragbar

Bei ihrer Arbeit hatten die Göttinger Forschenden jedoch nicht nur Deutschland im Blick. „Wir haben unser Computermodell von Anfang an so entworfen, dass es auf andere Länder und Regionen übertragbar ist. Unsere Analysewerkzeuge sind auf GitHub frei zugänglich (https://github.com/Priesemann-Group/covid19_inference_forecast) und werden schon jetzt von Forschenden auf der ganzen Welt benutzt und weiterentwickelt“, sagt Jonas Dehning, Erstautor der Studie. Derzeit arbeitet das Göttinger Team daran, das Modell auf Europäische Länder anzuwenden. Dabei gilt es besonders, die unterschiedlichen Zeitpunkte der Maßnahmen in den verschiedenen Ländern herauszuarbeiten, was Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen zulassen könnte.

Kommt die zweite Welle?

Die Deutschlandanalyse der Göttinger Forschenden auf der Grundlage der Fallzahlen bis zum 21. April deutete insgesamt eine positive Entwicklung für die kommenden Wochen an. Ihre Analyse offenbart jedoch auch eine zentrale Herausforderung bei der Einschätzung der Epidemiedynamik: Änderungen in der Ausbreitung des Coronavirus schlagen sich erst mit erheblicher Verzögerungen in den COVID-19-Fallzahlen nieder. „Die ersten Effekte der Lockerungen vom 20. April sehen wir erst seit Kurzem in den Fallzahlen. Und bis wir die Lockerungen vom 11. Mai bewerten können, müssen wir ebenfalls zwei bis drei Wochen warten“, sagt Wilczek. Die Forschenden beobachten deswegen die Situation weiterhin ganz genau. Täglich werten sie die neuen Fallzahlen aus um abzuschätzen, ob eine zweite Welle zu erwarten ist.

Verschiedene Modellszenarien

Mit drei verschiedene Modellszenarien (siehe Abbildung) zeigt das Göttinger Team zudem, wie sich die Anzahl Neuerkrankungen weiter entwickeln könnte. Falls sich mit den Lockerungen vom 11. Mai die Ansteckungsrate verdoppelt, ist mit dem Start einer zweiten Welle zu rechnen. Nimmt stattdessen die Ansteckungsrate etwa denselben Wert wie die Genesungsrate an, bleibt die Anzahl täglicher Neuinfektionen etwa konstant. Es besteht aber immer die Gefahr einer neuen Welle. Es sei aber auch möglich, dass die Anzahl Neuinfektionen weiter zurückgehe, sagt Priesemann: „Wenn alle Personen weiterhin sehr vorsichtig sind, und die Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter effektiv greift, und gleichzeitig alle neuen Infektionsherde früh aufgespürt und eingedämmt werden, dann können die Fallzahlen weiterhin sinken. Wie genau sich die Zahlen in Zukunft entwickeln, hängt also entscheidend von unserem Verhalten, dem Einhalten von Abstandsempfehlungen und den Hygienemaßnahmen ab”, so die Göttinger Physikerin.

Literatur:

Jonas Dehning, Johannes Zierenberg, F. Paul Spitzner, Michael Wibral, Joao Pinheiro Neto, Michael Wilczek, Viola Priesemann: Inferring change points in the spread of COVID-19 reveals the effectiveness of interventions. Science  15 May 2020: eabb9789, DOI: 10.1126/science.abb9789.


Quelle: Uni Göttingen

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